Du warst in den 90ern als Party-König von München bekannt. Wie bist du damals in die Gastro-Szene eingestiegen?

Ganz klassisch als Spüler in der Küche. Dann Spüler an der Bar. Dann Barkeeper, Türsteher, Partyveranstalter, ... irgendwann der erste eigene Club: das Ultraschall am alten Flughafen.


War das dein Traum? Oder wolltest du was ganz anderes machen?

Eigentlich habe ich Germanistik und Linguistik studiert. Nur musste ich feststellen, dass das vermutlich eine brotlose Kunst wird. Meinen Professor von damals treffe ich manchmal beim Spazierengehen – er ist sozusagen erleichtert, dass ich was anderes mache. Immerhin habe ich vor zehn Jahren noch mal Philosophie studiert. Durchaus hart, weil es sehr schwer war. Jetzt mache ich wieder leichte Sachen.

Die Kinder haben gesagt, das wars mit dem Party-Michi.

Du warst nicht nur Club-Betreiber, sondern hattest auch mehrere Restaurants und Cafés. Warum hast du dich von der Gastronomie verabschiedet? 
Die klassische Gastronomie ist immer komplizierter geworden, die Rahmenbedingungen und Kosten haben sich geändert. Außerdem ist man sehr festgelegt, sie absorbiert dich total, bindet deine Kräfte. Restaurants sind ein Fulltime-Job mit bis zu 16 Stunden am Tag und lassen kaum Raum für andere Interessen.


Womit verdienst du heute dein Geld?

Mit Kulturveranstaltungen, Vermietungen, Firmenkooperationen, alternativen Nutzungen von Flächen, Zwischennutzungen, Vermittlung von Flächen, Hotelkonzepten, ... und mit Yogastudios.


Vom Abfeiern zum Yoga. Klingt wie ein Klischee. Wie kam es zu den Yoga-Studios?

Meine Geschäftspartner und ich waren in New York, haben es dort gesehen und von Freunden gehört. Dann hat einer dieser New Yorker in München ein Studio aufgemacht, da bin ich dann eingestiegen ... am Ende ist er ausgestiegen und wir haben einfach weiter gemacht.

Du engagierst dich auch für soziale Anliegen. Was genau machst du?

Wir werden die Hallen mit Dingen füllen, die nichts mit Konsum zu tun haben.

Wir haben in München viele Räume zur Verfügung und gemerkt, dass es einen hohen Bedarf von Leuten gibt, die kein Geld für solche Flächen haben. So können wir Projekte mitrealisieren, die sonst eben nicht umgesetzt werden könnten. Wir haben zum Beispiel in unserem Pop-Up-Hotel Lovelace ein Kinderhotel für Kinder aus Münchner Kinderheimen gemacht, die in den Ferien dort übernachten konnten. Jetzt aktuell unterstützen wir den Verein „Boxt euch durch“, der Jugendlichen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, eine Nachmittagsbetreuung mit Boxangebot ermöglicht. Diese ehrenamtlichen Projekte machen wahnsinnig viel Spaß und geben auch dem Team eine große Energie. Es ist ein gutes Gefühl, die Stadtgesellschaft mitzugestalten und irgendwie auch ein politisches Statement.

München soll erschwinglich und lebenswert bleiben, gerade auch für Kinder.

Du bist spät Vater geworden, erst mit Mitte 40. War das für dich der Moment wo du gesagt hast, das wars jetzt mit dem Party-Michi?

Die Kinder haben gesagt, das wars mit dem Party-Michi. Inzwischen trinke ich aus Arbeits- und Kindergründen vielleicht alle fünf Monate mal ein Bier. Es fehlt mir nichts. Es ist eine Entwicklung, die viele andere Möglichkeiten eröffnet hat. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, mache ich wieder Party.

Würdest du deinen Kindern raten, die Finger von der Gastronomie zu lassen?

Nein, das würde ich nicht. Ich würde nur dazu raten, etwas mit Entwicklungspotential zu machen. Und was mit finanziellem Potential. Insgesamt sind die Gastro und das Nachtleben eine Schule fürs Leben. Es ist ein guter Querschnitt durch das Leben. Man lernt enorm viel.

Hat alles, was du angefasst hast, Erfolg gehabt? 

Haha, so versuche ich das auch immer darzustellen. In der Rückschau ist überraschend viel schiefgegangen. Zum Teil brutale Verluste. Aber unterm Strich war eben mehr Erfolg als Misserfolg dabei. Wobei Erfolg eben nicht immer gleich Profit bedeutet.

Gibt es etwas, was du bereust, nicht getan zu haben? 

Nein, ich weine Projekten nicht nach. Es kamen und kommen so viele neue Ideen. Ich glaube, ich könnte mich spontan nicht mal an etwas erinnern, was ich bereuen müsste. Verpasst habe ich trotzdem einiges, macht nichts.

Mit den Dreien is this Sugar Mountain really happening: Gregor Wöltje, Michi Kern und Lissie Kieser (v.l.n.r.)

Apropos Projekt. Gemeinsam mit Lissie Kieser und Gregor Wöltje lässt du gerade etwas ganz Neues in Obersendling entstehen. Was hat es mit Sugar Mountain auf sich? 

Wir erwecken das Gelände des ehemaligen Betonwerks zu neuem Leben. Dort gibt es riesige Hallen und enorme Außenflächen. Und diese werden wir ab Mai 2021 füllen und zwar mit Dingen, die nichts mit Konsum zu tun haben: Skatepark, Fußball, Basketball, Ping Pong, Schach, Klettern, Boxen. Es soll Spaß machen. In den Hallen werden wir das tun, was wir immer machen: Konzerte, Ausstellungen, Theater, Tanz... Das Projekt ist auf zwei Jahre, also drei Sommer angelegt.

Ihr drei seid bekannt für spektakuläre Pop-Up-Projekte. Fällt es dir schwer, wenn ein Projekt zu Ende geht?

Der Charme ist ja die Begrenztheit. Aber meistens ist man auch heilfroh, wenn es vorbei ist, weil man sehr erschöpft ist.

Was treibt dich an, nach welchen Kriterien suchst du dir deine Projekte aus? 

Es muss spannend sein, überraschend. Schön ist es, wenn es einem mehr Möglichkeiten bietet, als man im ersten Moment selbst überblickt. Oft ist es auch die reine Machbarkeit, die überrascht. Von vielen Projekten haben mir Experten abgeraten. Ich hab’ sie trotzdem gemacht.

Du bist in München geboren, hast dein ganzes Leben hier verbracht. Gibt es eine Stadt, in der du gerne gelebt hättest oder leben würdest?

Eine Stadt am Meer wäre schön gewesen. Ich hätte mit 24 Jahren nach Miami gehen können, um ein Hotel zu machen und ein Jahr später mit meiner damaligen Frau nach New York. Beides habe ich mich nicht getraut. Also bin ich eben hier geblieben. Vielleicht etwas provinziell – aber ich bin extrem viel gereist und bevor ich es besser wusste, jede Woche in den Flieger gestiegen.


Wie hat sich die Gastro-Szene in München in den letzten 20 Jahren verändert? Fühlst du dich noch wohl in deiner Stadt?

Ich fühle mich wohl. Aber München ist zu langsam, es ist zu mühsam, was die Genehmigungen betrifft, es ist zu teuer. Alles hat sich verändert insofern, dass es unbezahlbar wird. Die Gastro-Szene hat sich natürlich enorm gewandelt, doch darüber müsste ich wohl ein Buch schreiben.



Gastronomie, Hoteliers und Clubbesitzer kämpfen in der Corona-Krise ums Überleben. Wie geht es deinen Unternehmen? 

Also wir kämpfen aktuell nicht ums Überleben, da wir ein Unternehmensverbund sind und eine gute interne Struktur haben. Wir tauschen uns aus, haben gute Berater, wir können alle staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen und wir können warten. Aber auch wir leben tatsächlich von den Hilfen. Ich fürchte, kleinere Betriebe haben es da schwerer. Allein schon wegen dem Arbeitsaufwand und der Kompliziertheit der Anträge. Doch ich muss betonen, die Hilfen funktionieren bei uns gut. Immerhin machen wir auch noch Umsätze durch Vermietungen und ähnlichem.


Hipster waren auch schon vor 30 Jahren blöd.

Was rätst du deinen Gastro-Kollegen in der jetzigen Lage, um nicht zu verzweifeln?

Durchhalten. Es wird einen großen Nachholbedarf geben. Vielleicht wäre es aus Gastro-Sicht auch besser gewesen, wirklich radikale Lockdowns zu fahren, um dann auch wieder richtig aufmachen zu können. Das Jojo-Spiel und halbe Lockdowns machen für die Gastro keinen Sinn.

Du machst einen sehr bodenständigen, einen geerdeten Eindruck. War das schon immer so?

Entweder kommt das vom Yoga oder von Bayern. Aus meiner Sicht geht es nicht anders, wenn man viele verschiedene Dinge gleichzeitig machen will. Sonst wird man wahnsinnig. Aber so richtig beruhigt hat es sich auch erst die letzten Jahre. Zwischendrin war es auch mal sehr hektisch und wenig geerdet. Wahrscheinlich bin ich einfach abgenutzt.


Du bist überzeugter Veganer. Seit wann und warum? 

Machen wir es einfach: wegen der Tiere. Das ist der einzige Grund. Alles andere nehme ich auch gern mit, gut für die Umwelt, für die Gesundheit, ... aber mir geht es tatsächlich ums Tierwohl. Ich mache das seit 34 Jahren. Früher war es ein bisschen exotischer, wenn man als Veganer hier ins Wirtshaus gegangen ist. Wobei ich sagen muss, in den Wirtshäusern sind sie immer cool damit umgegangen, dann gabs halt Bratkartoffeln mit Salat. Da ist man nicht beschimpft worden. Die Szene-Läden waren viel zickiger, da gab es echten Streit. Woran man sieht, die Hipster waren auch schon vor 30 Jahren blöd.


Mehr über das Projekt Sugar Mountain: This is really happening/Sugar-Mountain