Uwe Schiefer ist omnipräsent. Und das nun schon im über 14ten Jahr. Uwe Schiefer ist mit Roland Velich und jetzt auch Christoph Wachter-Wiesler das Gesicht all jener Blaufränkischen nach der Ried- Mariental-1986-Ära. Das war die Zeit zwischen 1990 und 2005, die nach der Blaufränkisch-Legende von Ernst Triebaumer benannt ist, der mit seinem Wein zum ersten Mal auf die Möglichkeiten der Sorte aufmerksam machte. Schiefers Blaufränkische wurden – wie jene von Roland Velich – deswegen so berühmt, weil sie die ersten Blaufränkischen waren, die auf Schlankheit und Eleganz setzten, anstatt auf fett und Barrique (was nicht heißt, dass nicht auch fett und Barrique seine Berechtigung hätte).

Uwe Schiefers Aufstieg zum Mr. Blaufränkisch-Eisenberg hat auch mit seiner Person zu tun. Manchmal mehr als mit seinen Weinen, denn Schiefer ist immer da, steht immer zur Verfügung, lebt wie selten jemand von der Reflexion anderer. Wenige Winzer reagieren auf Kritik so dünnhäutig. Aber diese Dünnhäutigkeit hat Gründe. Doch wer sollte die schon wissen? Wenn keiner fragt?

„Goschn hoidn“

Uwe Schiefer kommt aus Groß Petersdorf, einem kleinen Dorf in der Nähe von Eisenberg, das – so wie der Eisenberg – Jahrzehnte direkt am Eisernen Vorhang lag. Wer diese Jahre und diese Gegend kennt, der weiß, wie der heute gut 50-jährige Schiefer aufgewachsen ist. Zwar war die ungarische Grenze noch ein einigermaßen moderates Bollwerk im Eisernen Vorhang und es konnte geschehen, dass einem ungarische Grenzsoldaten um Marlboro anschnorrten („He! Du! Zigarette?“), die man ihnen lässig, aber keineswegs mit überheblicher Geste über den Zaun warf, doch von Groß Petersdorf weg, gab es nur eine Richtung: Weg vom Zaun, nach Westen. Zuerst Wien, dann Paris, dann New York.

Weg vom Zaun, nach Westen. Zuerst Wien, dann Paris, dann New York.

Österreich mag für viele Menschen ein homogenes Land sein, doch es hat fünf verschiedene Mentalitäten, die nur deswegen zusammenleben, weil die Entente 1918 beschloss, ein Land namens Österreich zu kreieren, in dem alle Menschen der ehemaligen Habsburger-Monarchie leben sollten, die Deutsch sprechen. Unter den fünf Mentalitäten Österreichs (Alemannen, Bajuwaren, Teutonen, Slawen) stellt die burgenländische, die magyarische Mentalität, den kleinsten Teil der Bevölkerung.

Die Burgenländer, in ihrem total verschlafenen Land ohne richtige Hauptstadt, waren nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 90er-Jahre hinein die Ostfriesen Österreichs. Und es gab Burgenländer-Witze, die heute nicht mehr erzählt werden können. Sie sind zu dumm, um einem zum Lachen zu bringen.

Dieses immer rückständige Burgenland mit seinen Straßendörfern und Kopftuch-Omas verdankt seinen rasanten Aufstieg (der schon vor dem EU-Beitritt und vor der Zone-1-Regelung begann) Menschen wie Uwe Schiefer – oder besser gesagt Uwe Schiefers Vater; Menschen, die in diesem schönen, aber todlangweiligen Grenzland etwas aufstellen wollten; etwas zeigen wollten: Unternehmertum, Innovation, Kraft, Durchsetzungsvermögen und Heimatverbundenheit. Diese Menschen wurden im Burgenland stets vereinnahmt.

Freie Charaktere gab es auch noch vor 20 Jahren nur wenige, denn die Burgenländer wählten über Jahre den Sozialdemokraten Theodor Kery an die Macht, der der Treibjagd frönte und sich eine Autobahn nach Wien vor die Haustüre bauen ließ. Förderungen und Jobs vergab er in Manier eines gutherzigen Diktators und Kritik bügelte er mit der Phrase „Goschn hoidn“ ab. In diesem damals undemokratischsten Bundesland Österreichs hatte man sich mit der Macht und den Leuten gut zu stellen. Sonst war man schnell weg vom Fenster. Und ohne Aussicht. Und es durfte einem kein Fehler unterlaufen. Denn dann fiel die Meute über einem her.

Uwe Schiefers Vater scheiterte als Unternehmer. Und Uwe Schiefer zahlte dieses Scheitern aus eigener Tasche.

Uwe Schiefers Vater scheiterte als Unternehmer. Und Uwe Schiefer zahlte dieses Scheitern aus eigener Tasche – wenn er es nicht immer noch zahlt. Hängen lassen? Geht nicht! Uwe Schiefer lässt keinen hängen.

Groß Petersdorf im Südburgenland? Da ist die Hotelfachschule in Wien schon eine große Angelegenheit. In Wien gibt es Clubs, gibt es die anderen, die nicht ländlichen Mädchen, gibt es was zum Rauchen. In diesem Aufbruchs-Wien der 80er-Jahre, dieser Falco-Metropole, schlägt Schiefer sich ein paar Semester mit Handelsstudien herum und macht dann das, was er will, etwas mit Essen und Wein: Uwe Schiefer wird Kellner. Aber im Steirereck, dem ersten und besten Restaurant der Stadt. Mit dem berühmten Adi Schmid als Sommelier.

Damals (wie heute) eine gute Schule, damals die beste. Das alte Steirereck war der legere Gourmettempel, der Deutschland heute immer noch fehlt; war der Platz, wo der damalige Wiener Polizeichef mit einer Person namens „Roter Heinzi“ essen ging, dessen Vorteil es war, seine Kontrahenten nicht umzubringen, sondern sie nur ein bisschen gegen die Wand laufen zu lassen.

Uwe Schiefer sah, welche Weine im Steirereck getrunken wurden; Uwe Schiefer sah, dass in Sachen Blaufränkisch was zu tun wäre; Uwe Schiefer erkannte, dass die Region um den Eisenberg weder gut noch schlecht beleumundet war. Und dass sie zu den günstigen Weinregionen gehörte. Also begann er 1994 Weingärten zu pachten.

Hängen lassen? Geht nicht! Uwe Schiefer lässt keinen hängen.

Die, die keiner wollte. War ja kein Cabernet oder Merlot drauf – das waren die Weine, die Cuveés, die damals gefragt waren. Uwe Schiefer machte Blaufränkisch. Und es dauerte ein bisschen, bis er ihn anders machte als die anderen. Aber er machte ihn anders, denn Schiefer hat einen Instinkt für die Lücke, dem er bis heute vertrauen kann. Beweis dafür ist sein schon sehr früher gekelterter Naturwein-Kommentar Weisser Schiefer, ein großartiger Wein, weit voran, weit voran modern, weit vor der Moderne der heutigen Marktschreier.

Uwe Schiefers Weingut florierte schon, bevor die ersten Parker-Punkte kamen. Das lag an Schiefer selbst, der – ohne sich aufzudrängen – immer Botschafter seiner Arbeitsergebnisse war. Er kam und stellte hin. Man soff ihn leer (nicht selten, ohne dafür zu zahlen) und mochte ihn dafür, dass er sich leersaufen ließ. So unkompliziert, so freundlich, so anpassungsfähig. Aber jene, die genau hinsahen, bemerkten schon damals, dass da ein anderer Uwe Schiefer war, einer, der alles lächelnd mitmachte, weil es eben nicht anders ging. In Wirklichkeit wäre er gerne in seinem Bett gewesen. Anstatt mit der Truppe seiner Claqueure noch in die nächste Bar zu ziehen. Dann kam der Herzinfarkt. Mit 42. Wie sein Vater, der auch immer da war – einer für alle.

Aber Schiefer stand auf, wurde wieder der alte, kriegte viele neue Parker-Punkte für seinen Reihburg, für alle seine Lagenblaufränkischen neuer Machart, wurde Mr. Schlank und Mr. Cool, wurde so oft Mr. Schlank und Mr. Cool genannt, bis die anderen Mr. Schlank und Mr. Cool hinter seinem Rücken despektierliche Gerüchte auf brachten, die das Ziel hatten, seinen Rückhalt – die Familie – zu beschädigen – das Fort. Der Hagel kam und er kam öfter und ein großer Teil der Ernte war öfter mal hinüber. Lächeln!

Uwe Schiefers Weingut florierte schon, bevor die ersten Parker-Punkte kamen.

Der Hang rutschte ab und ein Teil der Weingärten war weg. Lächeln! Dann kam der Magendurchbruch. Und die ersten Anrufe, dass man sich „um den Uwe Sorgen mache“. Die machte er sich inzwischen selber. Und das Lächeln verging eine Zeit. Bis es wiederkam. Für andere, die nichts kapieren. Müssen sie nicht. Könnten sie aber.

Schon einmal gab es einen burgenländischen Winzer, der immer da war, wenn man ihn anrief, der keine Verkostung ausließ und der dem österreichischen Süßwein ein neues Fundament gezimmert hat: Alois Kracher – ein Pfundskerl, wie man ihn selten findet. Das Leben, das er lebte, forderte sein Leben. Er starb, ungefähr so alt, wie Schiefer heute ist. Ist Schiefer bewusst, auf welcher Mauer er tanzt? Und wie hoch sie ist?

Ja, sagt Schiefer, der gerade wieder bei einer Verkostung steht, den wievielten Abend in diesem Monat? Und ja, er sei mit all dem manchmal überfordert, wache auf und wisse nicht, wie er das alles schaffen soll, das alles, das auf ihm alleine lastet: das Weingut, die Außenstellen in Ungarn, Lutzmannsburg und Purbach am Leithagebirge, der Handel, die Schuldenrückzahlung der Eltern, die Vermarktung – und die Familie. Kein Wunder, dass man sich fragt: Wie soll sich das alles ausgehen?

Ist Schiefer bewusst, auf welcher Mauer er tanzt? Und wie hoch sie ist?

Und Schiefer berichtet in anrührender Offenheit darüber, dass er das manchmal auch nicht weiß. Wie sich das alles ausgehen soll. Ohne als Mensch gegen die Wand zu fahren. Als Fleisch-und-Blut-Mensch, als Organismus, der über alle Maßen strapaziert ist, der selten Ruhe findet. Freilich hat er sich das selber zugemutet. Auch weil er keinem in den Arsch kriechen will. Freilich hat diese Zumutung längst alle Grenzen überschritten. Und die Warnschüsse sind nicht zu überhören. Schiefer sagt, er suche einen Partner. Einfach wird das nicht, ihn dann von Sachen fernzuhalten und ihn zum Delegieren zu überreden. Aber – und so sieht es aus – die Suche nach einem Partner wird zur Überlebensfrage. Nicht jener des Weinguts.

Und Uwe Schiefer sagt, dass er ja keinen zum richtigen Reden hätte, weil ja in der Weinszene alle nur immer über Wein reden. Und nichts anderes. Das stimmt. Schiefers langes Schweigen hinterlässt den Eindruck, gerade richtig zu sein. Jetzt. Mit diesem Telefonat. „Halt durch!“, will man rufen – bemüht, das ohne Dramatik und Pathos zu tun, so wie es sich für cool geziemt, cool, wie wir alle sind.

Ach was, scheiß auf cool, scheiß drauf, wie das rüberkommt, scheiß auf die Weinszene: „Halt durch, Uwe!“