Dieser Artikel ist ein Politikum. In der Redaktion haben sich Gräben aufgetan. Auf der einen Seite die Pro-Veröffentlichungs-Fraktion: „Die Welt muß von diesen herausragenden Winzern erfahren, denn deren Weine sind bisher viel zu gut gehütete Geheimnisse. Wir werden den Mantel des Schweigens lüften!“

Auf der anderen Seite die Gegner: „Nein! Niemals dürfen wir diese Winzer ausplaudern! Ihre kleine Produktion ist viel zu rar um, einfach in die Welt posaunt zu werden. Diese wenigen Flaschen werden wir selber trinken!“ Der Kompromiss: Wir erzählen von einigen. Und behalten einige andere für uns. Nachfrage sinnlos!

Erstens: Das Rheingauer Urgestein

Undercover-Weinagent Raul Brutzkowski (ehemals KGB) hat einen Tipp bekommen: ein Rheingauer Winzer, eigentlich ein Urgestein der Region, soll sich bei Nonnen versteckt halten. Gar nicht so leicht, von den Gottesleuten Informationen zu bekommen. Bei Nonnen hilft auch der dezente Charme des Agenten nicht.

„Die Welt muß von diesen Winzern erfahren, denn deren Weine sind bisher viel zu gut gehütete Geheimnisse!“

Über einen anonymen Hinweis aber hat er erfahren, dass die Wurzeln des Urgesteins in Lorch unweit der Loreley in den Fels graben. Dort ist der Boden eher dem Mittelrein zuzuordnen, jedoch zählt Lorch noch zum Rheingau. Nur die Alten in Lorch kennen den Mann, der immer noch in der Heimat lebt, obwohl lange Jahre das Rheintal aufwärts in Assmanshausen arbeitete. Man munkelt, dass er für die spannendsten Spätburgunder des Rheingaus verantwortlich war.

Aber wo ist er jetzt? Die Nonnen müssen der Schlüssel sein. Der Agent parkt seinen alten 911er in Ybingen, hoch über Rüdesheim. Dort besucht er das Kloster aber da ist kein Urgestein. Ist das eine Sackgasse? Sein Blick schweift über den Rhein, über Rüdesheim und die Weinberge. Doch siehe da: Brutzkowski sieht ein herrschaftliches Gutshaus. Dorthin macht er sich auf den Weg.

Das Haus, so stellt sich heraus, ist das Bischöfliche Weingut Rüdesheim. Nur logisch, denn Bischöfe sprechen allerorts dem Wein zu. Plötzlich kommt ein Kerl auf seiner V2 Zylinder Ducati 900 SS Desmo auf den Hof gefahren, Steigt ab, nimmt den Helm ab und begrüßt Brutzkowski. Erster Eindruck: bestimmter und kräftiger Händedruck, eine Frisur, nahe der Vokuhila. Die Hände des Mannes Hände lassen auf mindestens zwanzig ertragreiche Weinernten schließen. Er ist seinen besten Jahren, braucht keinem mehr etwas zu beweisen. Sein Name: Peter Perabo.

Perabo lädt Brutzkowski in den Keller. Hinabgestiegen traut Brutzkowski seinen Augen nicht: Hier sieht es aus wie in einer Tropfsteinhöhle und ein Bach fließt durch die Gewölbe. Die Luftfeuchtigkeit ist extrem hoch und von der Decke wachsen Stalaktiten. Beide probieren einen Wein vom Fass, einen Riesling vom Rüdesheimer Berg. Brutzkowski ist begeistert: dieser Zug, diese Frische, diese Kraft, das „Tänzelnde“. Voller Begeisterung kauft er gleich das Fass. Sie gehen weiter in den Keller hinein.

"Nein! Niemals dürfen wir diese Winzer ausplaudern! Diese wenigen Flaschen werden wir selber trinken!"

Hier warten die Rotweine, die geheimen und in Insiderkreisen berüchtigten Spätburgunder der Perabo‘schen Zucht. Schon früher, als Peter Perabo noch in Assmannshausen für das Weingut Krone verantwortlich war (ehemals eines der besten Güter im Rheingau), haben Weinenthusiasten hinter vorgehaltener Hand verkündet, dass die Pinots von Perabo eine Liga für sich sind. Peter Perabo hat ein besonders Gespür dafür, die Eleganz der Sorte herauszuarbeiten.

Brutzkowski wagt die Frage: „Haben sie noch Assmanshäuser hier?“ Perabo schaut zu ihm hinüber, blickt ihm tief in die Augen. Stille! Dann ein Grinsen. Er winkt Brutzkowski zu. Sie gehen noch tiefer in den Keller. Zu den kleinen Barriques. Perabo holt einen Asssmanshäuser Spätburgunder aus einem der Holzgebinde und macht die Gläser voll. In der Nase verlockender Sauerkirschsaft, auch Brombeere, ein Hauch Mandel. Im Mund eine Wohltat, ein Wein, der schmeckt, wie großer Wein schmecken soll. Das hierfür wesentlichste Merkmal: auch Minuten nach dem letzten Schluck ist der Geschmack des Weins noch im Mund präsent. Brutzkowski ist platt, befestigt das Fass am Dach seines 911er und beschließt, sich heute Abend ausgiebig zu betrinken.

Zweitens: Der Aussteiger in Franken

Brutzkowski hört, dass es in Franken einen Aussteiger geben soll, einen «white collar“ Mann – in seinen besten Jahren, der kein Rad in der Maschine mehr sein wollte, der lieber was „Echtes“ mache wollte. Klingt wie schon mal gehört? Klar, es gibt ja viele, die zu Wohlstand gekommen sind und sich dann ein Weingut leisten. Unser Mann zählt nicht zu dieser Sorte Aussteiger. Brutzkowski erreicht Thüngersheim. In dem beschaulichen fränkischen Dorf am Main - keine 30 Minuten von Würzburg entfernt - trifft er Thomas Plackner.

Erster Eindruck: nicht zu groß, leicht angegrautes Haar, rahmenlose Brille, drahtig-kräftige Statur.

Der Mann – so sieht man - kann anpacken. Thomas Plackner hat VIEL von der Welt gesehen, während er im Hamsterrad eines Technologiekonzerns lief. Die Welt wurde nicht seins, er wusste: Die fränkische Heimat, dort will er sein. Es muss doch machbar sein, dachte Plackner, als Quereinsteiger und ohne langjährige Ausbildung Winzer zu werden.

Doch würde die Theorie der Praxis, würde seine Träumerei der Arbeit auf einem Weingut standhalten?

Plackner überlegte kurz. Doch dann: Alles oder Nichts!

Um das Weinmachen überhaupt mal zu lernen, heuerte Plackner bei Weingütern an. Und da gleich bei den besten, denn nur dort lernt man mehr, als in Geisenheim oder aus Büchern. An der Mosel stand er bei Matthias Knebel im Keller. Danach beim Meister des Goldtröpfchen-Rieslings Reinhold Haart. In Franken sah er dem dortigen Spätburgunder-Doyen Rudolf Fürst über die Schulter. Und alles, was Silvaner groß macht, lernte er beim Zehnthof Luckert. Immer wieder gefordert und gefördert von Gernot Kollmann, Freund und Förderer, und Kellermeister von Immich Batterieberg in Enkirch.

Plackner ist gottseidank noch unbekannt, denn er ist kein lauter Typ, eher ein nachdenklicher, reflektierender, abwägender Charakter.

Plackner überlegte kurz. Doch dann: Alles oder Nichts!

Plackner macht nur zwei Weine – zwei Silvaner. Und von denen auch gerade mal dreitausend Flaschen pro Jahr. Die Weine heißen „Einsteiger“ und „Aussteiger“, ihre Trauben wachsen auf Muschelkalk und Buntsandstein, werden spontan mit Hilfe der natürlichen Umgebungshefen vergoren, dürfen lange bis in den Sommer nach der Ernte auf der Hefe liegen und wer-den danach unfiltriert abgefüllt.

Der „Einsteiger“ ist ein fränkisch-trockener ohne einen Hauch Zucker schmeckender Silvaner alter Schule: feste, kräftige Struktur, animierende Säure und saftige Mineralität. Das zischt! Der „Aussteiger“ hingegen ist ein Wein für Entdecker, für Liebhaber progressiver Experimente. Das gepresste Lesegut stand zweiundvierzig Stunden auf der Maische (eine für Weißwein extrem lange Zeit), die lediglich angequetschten Trauben durften in dieser Zeit im Saft „ziehen“.Ein fordernder Wein, puristisch, mit einer ausgeprägten Gerbstoffstruktur. Plackner zeigt, was mit Silvaner möglich ist, wenn man die ausgetretenen Pfade des Gewohnten verläßt. Brutzkowski stellt Plackner die Frage, ob er ein paar Flaschen kaufen könne. Plackner legt den Finger senkrecht an den Mund. Psssst! Und dann verschwinden beide im Keller.

Drittens: Der Weise im Breisgau

Brutzkowski soll in den Südenwesten der Republik - nach Malterdingen im Breisgau. Hier soll es einen Bauern geben. Keinen Winzer, sondern einen echten Weinbauern. Er soll ein großes Gut leiten. Aber er soll auch so verrückt sein, nebenher sein eigenes Gargenweingut zu betreiben. Durch einen Tipp hat Brutzkowski die Adresse eines Hofes bekommen, in dessen Keller die „Geheimwaffe“ gegen österreichische Blaufränkische und andere elegante Rotweine, auch französiche Burgunder, lagern soll. Ein deutscher Rotwein, der eine besondere Alternative ist.

Vor Ort öffnet sich das Tor. Ein Mann reicht die Hand. Sein Name: Odin Bauer. Erster Eindruck: Schiebermütze, bestimmter Händedruck, zielstrebiger, schneller Schritt. Er führt durch den kleinen Innenhof, einmal an der Scheune vorbei zum Auto. Wir fahren zum Erdenhart. Was für ein Name.

So bestimmt wie Odin Bauer geht, so fährt auch. Er hat keine Zeit zu verlieren. In seinem Job als Kellermeister des Weinguts Freiherr von Gleichstein ist er für mehr als 50 Hektar Weingärten verantwortlich, die überall am Kaiserstuhl verstreut sind. Erdenhart. Harte Erde. Harte Arbeit. Odin zieht auf Erdenhart sein Ding durch. Andere Winzer hätten schon lange aufgegeben, der Boden ist extrem karg hier. Aufgeben?

Nicht Bauer! Er ist eine kuriose Kombination aus unbändigem Fleiß, Klugheit und Vernunft. In einem anderen Leben, denkt Brutzkowski, wäre Odin Bauer wohl avantgardistischer Jazzmusiker geworden, der in den verruchtesten Clubs der alten, schönen Städte wie Odessa, Marseille oder Porto spielen würde.

Die Arbeit am Erdenhart ist eine Pein. Aber dieser extrem harte Boden ist genau der richtige für die knorrigen alten Spätburgunderreben, die hier stehen. Hier müssen die Wurzeln um jeden Zentimeter Tiefe kämpfen. Als Bauer diesen Weinberg vor zehn Jahren übernahm, war er in einem desolaten Zustand. Es hat ihn drei Jahre gekostet, den verwucherten Hang freizulegen, die Stöcke wieder zurechtzuschneiden und aufzupäppeln. Auf diesem Grund wachsen die Reben nur sehr langsam. Und genau diese langsamen Stöcke sind der Grund, warum Bauers Weine so einzigartig sind.

Andere Winzer hätten schon lange aufgegeben, der Boden ist extrem karg hier. Aufgeben? Nicht Odin Bauer!

Bauers Spätburgunder ist ein direkter Wein. Weniger auf der Frucht geerdet, als würzig und erdig. Zuerst zwar fein, aber auch karg, so karg, wie der Boden. Doch dann, nach Minuten, öffnet sich der Wein. Was folgt sind Spannung und Länge – ein Monolith. Bauers Spätburgunder, der einfach nur Spätburgunder heißt, ist eine Galaxie für sich, die aber erst erkundet werden möchte.

Ist er ausverkauft, fragt Brutzkowski. Ne! Brutzkowski ist verwundert. Sie probieren noch einen weiteren Wein, einen Blaufränkisch – der in Deutschland Lemberger heißt. Der riecht nach Kräutern, Wacholder, Earl-Gray und grob gestoßenem Pfeffer und schmeckt saftig, wie andere Blaufränkische selten schmecken.

Brutzkowski nimmt ein paar Flaschen mit in seinen 911er und überlegt von hier aus gleich über Vorarlberg in das Burgenland zu fahren und die Weine Odin Bauers mit ein paar Winzer vom Eisenberg zu verkosten, denn dort an der Ostgrenze kennt sich Brutzkowski gut aus. Auch dort sind einige geheime Talente, die auch eine Tour wert sind. Er überlegt. Nö! Das müssen die nicht wissen. Die Burgenländer. Noch nicht. Er steigt ein, tritt aufs Gas und fährt hoch nach Berlin.

Pssst... Bonustrack!

SCHLUCK hat drei der besten Sommeliers aus dem deutschsprachigen Raum die Pistole an die Brust gesetzt und ganz freundlich um ihre Geheimtipps gebeten.

Der erste „Überredete“:

Rene Antrag - Sommelier im Restaurant Steierereck in Wien

Welcher Winzer?

Michael Wenzel aus Rust am Neusiedlersee.

Warum?

Er ist eine Persönlichkeit, ein Tüftler und Visionär im Weingarten. Er ist nachdenkend, hinterfragend, bodenständig.

Was macht ihn besonders?

Er versucht Traditionelles wiederzubeleben, z.B. Weine aus der Sorte Furmint, die im Burgenland über Jahrhunderte gekeltert wurden, als das Burgenland noch zu Ungarn gehörte.

Welcher Wein?

Sein Furmint „Garten Eden“ aus 2013. Sein erster Jahrgang. Ein pikanter Wein mit ordentlich Körper, der dem Oberflächlichen widersteht. Das Holz ist hier nur leiser Wegbegleiter. Die vierzehn Monate lange Hefelagerung dient sowohl der Komplexität als auch der Balance.

Mit welchen Winzern ist der unvergleichbare Michael Wenzel zu vergleichen?

Mit Ernst Triebammer, Richard Leroy oder Attila Homonna

Die zweite „Überredete“:

Mona Schrader - Geschäftsführerin und Sommelière im Restaurant Jante in Hannover

Welcher Winzer?

Stefan Steinmetz vom Weingut Günther Steinmetz an der Mosel.

Warum?

Weil sowohl der Winzer als auch seine Weine einfach anders sind, als andere Weine der Region – vor allem um Brauneberg. Steinmetz hat Respekt vor Tradition und der Natur. Und genau das schmeckt man in seinen Weinen.

Was macht ihn besonders?

Stefan Steinmetz hat es geschafft, dem ohnehin charakterstarken Schieferboden noch charakterstarke und ausgeprägt individuelle Weine abzugewinnen, die tatsächlich ihresgleichen suchen. Das ist kein leeres Geschwätz. Seine Spätburgunder sind wohl das bestgehütete Rotweingeheimnis der Mosel.

Welcher Wein?

Sein salziger Pinot Blanc „Maischevergoren“. Absolut geiler Stoff! Suchtgefahr!

Mit welchen Winzern ist der unvergleichliche Stefan Steinmetz zu vergleichen?

Ein Vergleich ist schwierig, da ja jeder Winzer seinen eigenen Stil hat. Doch ich finde, von Zugang und Philosophie her würde ich ihn – mit Vorsicht - mit dem Pfälzer Winzer Jürgen Leiner vergleichen.

Der dritte „Überredete“:

Ronny Schreiber - Sommelier im Restaurant St.Jaques von Rainer Hensen in Heinsberg

Welcher Winzer?

Stefan Wellanschitz aus Neckenmarkt im Mittelburgenland.

Warum?

Ganz einfach: Sein Stil. Der ist eigen und einzigartig.

Was macht ihn besonders?

Alles Weine sind spontanvergoren, durchlaufen lange Maischestandzeiten, bekommen keine Filtration und kaum Schwefel. Und obwohl das inzwischen bei vielen neuen Winzern schon selbstverständlich ist, schafft es Wellanschitz auch noch, eine eigene, elegante Handschrift zu kreieren, die ihm wohl einfach so passiert ist.

Welcher Wein?

Sein Welschriesling „Kolfok“.

Mit welchen Winzern ist der unvergleichliche Stefan Wellanschitz zu vergleichen?

Ich denke mit Gernot und Heike Heinrich im Burgenland, den großen Vorreitern des biologischen Weinbaus in Österreich, die in ihren frühen Jahren eine ähnlich ausgeprägte Handschrift entwickelten, die sie bis heute nicht verloren haben.