Im Fasching ist alles erlaubt. Simon Maier ist im Fummel unterwegs. Es ist das Frühjahr 2017. Und im Fummel kann Simon endlich zu seinen Gefühlen stehen, zu seinem anderen Ich, das er so lange unterdrücken musste.

Er zieht tagelang geschminkt und in Frauenkleidern umher. Karnevalszeit ist die Ausnahmezeit, doch für Simon Maier soll die Ausnahme zum Dauerzustand werden.

„Ich zieh den Fummel nicht mehr aus“

Als er bei seiner Oma vorbeischaut, sagt er: „Ich zieh den Fummel nicht mehr aus.“ Nicht nur die Großmutter denkt, dass Simon Maier mit nüchternem Kopf wieder zur Besinnung kommen wird.

Aber er ist ja längst zur Besinnung gekommen und er weiß jetzt: Er wird künftig als Frau leben, als welche er sich schon seit Langem fühlt. Aus Simon muss Simona werden. Maier sagt: „Mir lag nicht mehr viel an diesem Leben“, am Leben im falschen Körper, einem Männerkörper. „Wenn ich es nicht gemacht hätte, wäre ich kaputt gegangen“, fügt Maier hinzu. Er beziehungsweise sie ist die erste Trans-Winzerin im Land.


Mühlhausen ist eine Gemeinde mit 5.000 Einwohnern im badischen Kraichgau. Hier wächst Simon Maier, Jahrgang 1990, auf, als erster von drei Jungen. Der sich aber „schon immer als Mädchen und Frau fühlt“.

Simon, als er bereits ahnte, was in ihm steckt.

Schon im Kindergarten spielt er lieber in der Puppenecke, raufen und auf dem Fußballplatz herumtoben überlässt er gerne den anderen. In der Grundschule ist die Welt noch in Ordnung, er darf die Haare lang tragen wie auch die coolen Jungs in seinem Alter. Gerne geht er mit seinem Vater in die Weinberge, um mitzuhelfen. Klaus Maier arbeitet als Landschaftsgärtnermeister, nebenbei bewirtschaftet er fünf Hektar Weinberge, seine Trauben liefert er bei der Winzergenossenschaft Wiesloch ab. Er sei sehr naturverbunden, erzählt Maier, „ich war immer gerne in den Weinbergen“. Aber in der Pubertät gerät seine geordnete Welt aus den Fugen, Simon Maier wird von den Mitschülern gemobbt: Den Jungs erscheint er zu weich, „als falsches Mädchen mit langen Haaren“. Aber auch die Mädchen halten Abstand von dem Jungen, der nicht in die üblichen Geschlechterrollen passen will.

Lange Zeit kann Simon Maier nicht einschätzen, warum er anders ist, was in seinem Kopf, in seinem Körper geschieht. Heimlich zieht er Kleider an aus Mutters Schrank, immer in der Angst, ertappt zu werden. Er glaubt, dass „sie mich sonst in die Psychiatrie stecken“. Als er zufällig im Fernsehen eine Reportage über Transgender sieht, versteht er endlich, was ihm zu schaffen macht.

„Das darf ich sein, das darf ich leben“

Vor allem weiß er jetzt: „Das darf ich sein, das darf ich leben.“ Obwohl für Maier mit 16 Jahren feststeht, dass er als Frau leben möchte, beschließt er, erst noch das Abitur zu machen und sich dann zu outen. Immer noch verunsichert und auch mit der Hoffnung, „dass dieses Gefühl sich vielleicht wieder legt oder ich die Frau fürs Leben finde“.

Aber kurz vor seinem geplanten Coming-out stirbt überraschend der Vater über Nacht an einem Herzinfarkt, eine Woche bevor die Traubenlese beginnen soll. Simon Maier ist erst 19, als er zu Hause die Rolle des Mannes übernimmt, der Mutter zuliebe und den beiden sechs Jahre jüngeren Zwillingsbrüdern. Die Prüfungen zum Abitur hat er gerade abgeschlossen, er braucht ein Jahr, um zu Hause den Betrieb zu regeln. Dann beginnt er 2012 eine Winzerlehre im Weingut Hummel im benachbarten Malsch. Nebenbei schaut er auch noch nach den eigenen Rebstöcken. Sein Leben ist jetzt ein „tägliches Theaterstück, ich war nicht im Reinen mit mir“, sagt Maier, unfähig, eine feste Beziehung einzugehen, oft einsam und auch deprimiert.

Nur Wein bereitet ihm Freude, durch Erfolg im Beruf versucht er „vieles zu verdrängen“. Seine Winzerlehre schließt Simon Maier 2013 als bester Azubi Baden-Württembergs ab und wird auch bundesweit zum besten Jungwinzer gekürt, die Urkunde überreicht ihm Angela Merkel persönlich.

Anfang 2014 gründet Maier die Weinmanufaktur am Heiligenstein in Mühlhausen, die er vor allem als „Spielwiese und Forschungsfeld“ versteht.

Sein Geld will er als Kellermeister verdienen, der talentierte Winzer kann aus etlichen Angeboten auswählen: Maier entscheidet sich für Deidesheim und arbeitet ein Jahr als stellvertretender Kellermeister für das Weingut von Winning und danach ein Jahr mit Mathieu Kauffmann im Weingut Reichsrat von Buhl. Nebenbei schließt er die Prüfung zum Winzermeister ab, wieder zählt er zu den Besten im Land.

Simon Maier sollte für frischen Wind im Weingut sorgen, Simona Maier hat gleich einen Sturm entfacht.

Als Simon Maier nach Baden zurückkehrt, übernimmt er im September 2015 den Job als Kellermeister im Weingut Clauer in Heidelberg. Jörg Clauer, sein neuer Chef, ahnt noch nicht, dass er eigentlich eine Kellermeisterin eingestellt hat. Maier besucht den Christopher Street Day, kommt in Kontakt mit Schwulen, Lesben und Transsexuellen, mit einem bunten Kosmos, in dem auch die klassischen Geschlechtergrenzen verschwimmen dürfen. Im Weingut beginnen Arbeit und Privatleben miteinander zu kollidieren, für die Winzerfamilie ist es ein Schock, als ihr Kellermeister im August 2016 nach dem Christopher Street Day in Mannheim im knappen roten Kleid und mit grellem Nagellack ins Weingut kommt. Aber Maier kann sich nicht länger verstellen, zu stark leidet er unter dem jahrelangen Versteckspiel. „Ich habe den Mann gespielt, bis es nicht mehr ging“, sagt Maier

Simona, nachdem sie sich von Simon befreit hatte.

Innerhalb weniger Monate nimmt Simon Maier beinahe 20 Kilo ab, er isst kaum noch. Das eigene Spiegelbild kann er nicht mehr ertragen. Maier sagt: „Das Leben war mir fast egal geworden.“ Nur als Frau und Winzerin kann Maier weiterleben. Aber er hört von anderen Transgendern, die nach ihrem Outing fast alles verloren haben, Job, Familie und Freunde. Auch seine Mutter sorgt sich und sagt: „Mach es nicht, denk an die Weinmanufaktur, was du dir mühsam aufgebaut und vom Lohn abgespart hast.“

„Ich habe den Mann gespielt, bis es nicht mehr ging“

Als Simon Maier ein paar Monate später im Kleid durch Mühlhausen geht, der Fasching ist schon wieder vergessen, gibt es kein Zurück mehr. „Das hat mich viel Überwindung gekostet“, sagt Maier, aber auch Gewissheit geschaffen: Ab jetzt ist Simon Maier Simona Maier, die bereit ist, für ihr neues Ich zu kämpfen.

Bei der Arbeit kommt es vor, dass sie im Kleid im Keller steht und Besuchern vom Seniorchef als „Herr Maier“ vorgestellt wird, die Irritation ist groß. Simona Maier stellt ihren Arbeitgeber vor die Entscheidung: „Wenn ihr mich nicht als Frau akzeptiert, muss ich kündigen.“ Sie ist noch immer da, denn Jörg Clauer weiß, was er an seiner Kellermeisterin hat, wenn ihn auch manches überrollt hat: Simon Maier sollte für frischen Wind im Weingut sorgen, Simona Maier hat gleich einen Sturm entfacht.

Es ist noch ein weiter Weg, bis Simona Maier auch offiziell als Frau anerkannt wird. Sie muss zahlreiche Therapiesitzungen und Tests über sich ergehen lassen. In Ländern wie Schweden und den Niederlanden könne man das Geschlecht mit der Steuernummer ändern, sagt sie, hier braucht es „Zwangsbegutachtungen, die nicht menschenwürdig sind“, bei denen auch intimste Fragen beantwortet werden sollen. Sie nimmt sich einen Anwalt, ein dicker Ordner füllt sich mit Anträgen und Beschwerden, damit aus einem Mann eine Frau werden kann. Erst im November 2017 wird ihr Geschlecht im Personalausweis als weiblich ausgewiesen und auch ihr Meisterbrief ist nach einiger Mühe auf ihren neuen Namen ausgestellt: „Einen Fall wie meinen gab es bei der zuständigen Behörde noch nicht“, sagt die Winzermeisterin.

Ab jetzt ist Simon  Simona, die bereit ist, für ihr neues Ich zu kämpfen

Der 25. April 2018 ist der letzte Tag, den Simona Maier im Körper eines Mannes erlebt. Am nächsten Tag lässt sie in einer Spezialklinik in München-Planegg eine Geschlechtsangleichung vornehmen. In einer „Mann-zu-Frau-OP“ wird aus ihrem Penis eine Vagina geformt. Hormone blocken das Testosteron im Körper und setzen Östrogene frei, die eine zweite Pubertät auslösen, Brüste beginnen zu wachsen, die Gesichtszüge werden weiblicher. Eine Veränderung, mit der sich viele schwertun im Kraichgau und in der konservativen Weinszene. Anhören muss sie sich viel von den „machomäßig geprägten Kollegen“ wie sie sagt. Es kann passieren, dass sie bei Weinmessen, für alle hörbar, gefragt wird: „Ist dein Ding schon ab?“ Es sind nicht wenige, die ihre Geschichte ins Lächerliche ziehen und als verrückte Idee abtun.

Der Sprung in die Freiheit.

Beirren lässt sich Simona Maier dadurch nicht, für sie ist es Bestätigung und Genugtuung, als sie im Frühjahr 2018 zur Weinprinzessin gekrönt wird: Als Simona Aurelia I. setzt sie sich gegen mehrere Bewerberinnen durch und repräsentiert den Kraichgau für ein Jahr.

Für Maier geht ein Kindheitstraum in Erfüllung: Während kleine Jungs davon träumen, Feuerwehrmann oder Polizist zu werden, wollte sie schon immer ein „Dirndl und ein Krönchen tragen und aus großen Gläsern trinken“. Eine Trans-Winzerin als badische Weinprinzessin? Das kann als Sensation gelten, an die Simona Maier bis zu ihrer Wahl nicht recht glauben kann. „Ich war mir nicht sicher, ob der Weinbauverband dafür bereit ist“, sagt sie. Mancher stört sich auch an der neuen Weinprinzessin, über die viel getuschelt wird: Sie habe das Geschlecht nur aus Marketinggründen gewechselt. „Ich wünsche keinem, dass er im falschen Körper geboren wird“, sagt Maier nach mehreren langen und schmerzhaften Operationen. Als Simona Aurelia I., 187 Zentimeter groß, mit blonden Locken und in hohen Lederstiefeln, als Prinzessin auf Weinfesten unterwegs ist, wird sie auch beleidigt und beschimpft: So eine wie sie gehöre vergast, heißt es, wie Simona erzählt.

Es sind aber auch Winzerinnen und Winzer wie Lisa Bunn, Christoph Hammel und Klaus Rühl, die sie von Anfang unterstützen und ihr beistehen. Mit dem Pfälzer Hammel, der sie nur Prinzessin nennt, erzeugt die Trans-Winzerin auch den Weißwein „Lirum Larum“. Neben ihrer Arbeit im Weingut Clauer baut Simona Maier für ihre Weinmanufaktur Weißburgunder, Auxerrois, Chardonnay, Sauvignon Blanc, Müller-Thurgau, Riesling, Spätburgunder und Merlot an. Wichtig sind ihr auch die beiden Seccos „Bunte Liebe“ und „Rosa Liebe“. „Symbolweine, die meine Geschichte und mein verrücktes Leben erzählen“, sagt sie. Sie wolle damit zeigen, „dass es nicht nur Schwarz oder Weiß gibt, sondern eine bunte Vielfalt, die man leben darf“.


Symbol(wein)e, die Simonas Geschichte und verrücktes Leben erzählen.

Seit sie Frau ist, nimmt Simona Maier Gerüche intensiver wahr, auch ihr Geschmackssinn sei geschärft, wie sie erzählt. Auch wenn sich ihr Leben gravierend verändert hat, „meine Art Wein zu machen, ist gleich geblieben“. Aber sie sei noch motivierter, guten Wein zu machen und aber auch gelassener bei ihrer Arbeit. „Wenn ein Wein noch Zeit braucht, dann bekommt er die auch“, sagt Maier, deren Beiname Aurelia für „die Goldige“ steht. Das spielt auch auf ihr „sonniges Gemüt“ an, das sie seit ihrem Outing habe. „Ich gehe raus und verstecke mich nicht mehr“, sagt sie.

Wenn Mühlhausen zu eng wird, taucht Simona in Berlins Szene ab

Wenn ihr die Kleinstadt Mühlhausen zu eng wird, fährt sie nach Berlin, wo sie „in der Szene abtauchen kann“. Aus der CDU, in der sich Maier lange Zeit engagiert hat, ist sie ausgetreten. Sie engagiert sich inzwischen in der Gruppe Travestie für Deutschland, die sich gegen Fremdenfeindlichkeit, Homo- und Transphobie und Frauenfeindlichkeit stellt.

Ihre Geschichte zu erzählen, ist Simona Maier wichtig, auch um anderen Mut zu machen, ihre Träume umzusetzen. „Kämpfen zahlt sich aus“, sagt sie.