Andreas, wie würdest du dich selbst beschreiben?

Ich bin Architekt, ein Maßschneider, ein Dienstleister. Ich liebe das Handwerk. Und den kleinen Maßstab. Bis hinunter zum Viertelmillimeter, der kleinsten Einheit, die ich noch mit freiem Auge verarbeiten und kontrollieren kann.

Es geht hier um Authentizität!

Wie kam es dazu, dass du Architekt geworden bist?

Ein wesentlicher Punkt war das Interesse für Fotografie, die Stimmung beim Durchforsten von Industrieruinen, die Aufregung, die mich dabei erfasst hat. Ein zweiter Punkt war mein Faible für Möbel, also für den kleinen Maßstab.

Wie bist du zu deinem „ersten Weingut“ gekommen?

Durch Empfehlung und Zufall. Mehr nicht. Kein Plan.

Andreas Burkhardt liebt den kleinen Maßstab und gerade Linien.

Wie unterscheidet sich der Entwurfsprozess eines Weinguts im Vergleich zu einem „normalen“ Projekt, zum Beispiel einem Wohnhaus?

Das Gebäude muss in erster Linie funktionieren, um die Arbeit zu erleichtern. Alle Schritte der Weinproduktion, die nicht im Weingarten stattfinden, sind ein Zusammenspiel von Mensch und Werkzeug, egal wie naturbelassen der Wein ist. Auch ein einfaches Holzfass ist ein Gerät. Oder eine Amphore. Oder die Lagares in Portugal, in denen die Trauben gestampft werden. Das alles sind Maschinen. Ein Weingut ist im Kern also eine Maschine. Es sollte allerdings eine Maschine mit Charme sein.

Was waren die Herausforderungen und Hürden? Was waren die größten Überraschungen?

Die Herausforderung zu Beginn der Jahrtausendwende, denn damals gab es kaum Know-how und keine Vorbilder in der Weingutsarchitektur, war, die Abläufe bei der Weinproduktion, die bei vielen Winzern improvisiert und nicht optimiert waren, zu analysieren und den Gebäudetypus zu definieren. Und es war auch notwendig, eine Sprache für die Architektur zu finden, denn bis dahin waren Weingüter entweder Châteaus, Bauernhöfe oder Industriehallen.

Architektur und Wein – zwei wundervolle Sinneserfahrungen – was sind die Parallelen, wo liegen die Unterschiede?

Vom Wein wird man angesäuselt.

Warum hast du dich für die Materialitäten Beton und Stahl entschieden?

Viele Weingüter sind unterirdische Anlagen. Daher ist es naheliegend, Beton einzusetzen. Sichtbeton hat eine Wesensverwandtschaft mit der Erde, mit Lehm. Humus ist der Träger der Reben. Die Assoziation ist also naheliegend. Lehm wäre mir als Baustoff lieber, der hält aber die Feuchte und die mechanische Beanspruchung nicht aus.

Zuerst lokal angefeindet als Schandfleck, dann gefeiert in allen Medien.

Der Arbeitsprozess der Weinproduktion wird von viel Wasser begleitet, es ist permanent feucht, es wird gespült, gespritzt, gereinigt, gepritschelt. Beton macht das nichts aus, er wird nur schöner. So wie alte Weine besser sind als junge. Das ist ein weiterer verwandter Aspekt zwischen Beton und Wein: die Alterung. Und Alterung ist der wesentliche Parameter in der Architektur. Der physische Alterungsprozess und der gestalterische Alterungsprozess. Nichts ist schlimmer als eine Allüre. Eine gealterte Allüre aber ist unwürdig. Würdiges Altern ist in meinen Augen das Wichtigste. Das gilt für das Material genauso wie für die Aussage des Architekten. Für die Gestalt, das Wesen des Gebäudes und den Geist, den es atmet. Weiter?

Ja, weiter, ich höre zu. Es läuft.

Der Stahl wird für die Gerätschaften eingesetzt, weil die Maschinen alle aus Nirosta gemacht sind. Praktisch unzerstörbar und kontrolliert keimfrei zu halten. In der Architektur des Weins spielt der Stahl bei mir eine untergeordnete Rolle. Nirosta ist ein Werkzeugmörder, fast nicht zu bearbeiten und altert unwürdig. Eine rein pragmatische Entscheidung, um leichte Konstruktionen wie Geländer und Gerüste zu konstruieren, die andernfalls zu massiv oder korrosionsgefährdet wären.

Wie soll das Weingut auf den Betrachter bzw. Besucher wirken? Inwiefern soll die Gestaltung den Besucher „beeinflussen“?

Schmeckt ein und derselbe Wein in „deinem Weingut“ anders als in einem anderen Gebäude?

Der Besucher wird intuitiv verstehen, ob die Architektur dem Weinmacher,  und der Landschaft entspricht.

Natürlich. Allein der Geruch ist in jedem Gebäude anders und wirkt damit unmittelbar auf den Besucher. Die Situation des Verkostungsraumes bei Fred Loimer (ein Weingut in Niederösterreich, das Andreas Burghardt gebaut hat – Anm. d. Red.), der Ausblick in die Landschaft, die Belichtung über das Dach, der Ausblick ins Atrium, Enge und Weite. Oder die helle Akustik, der weiße, zehn Meter lange Stahltisch mit der weißen Glasplatte, die den Hintergrund für den Farbabgleich des Weins bildet. Oder eben die Probe im 200 Jahre alten Ziegelkeller; etwas muffig, kalt, feucht. Man probiert im Stehen. Fröstelnd. Direkt am Fass oder am Tank oder aus einer eben entkorkten Flasche. Das sind grundsätzlich andere Erfahrungen für alle Sinne und mit jenen einer schicken Weinbar nicht zu vergleichen. Es geht hier also um Authentizität. Jedoch nicht als Schlagwort, sondern als Erfahrbares. Jeder Besucher wird intuitiv sofort verstehen, ob die Architektur dem Weinmacher und seinem Wein und der Landschaft entspricht.

Wie stark wirkt sich die Räumlichkeit auf die Sinne, auf die sinnlichen Empfindungen aus?

Es riecht. Es ist meist feucht. Es ist oft kühl. Es ist oft nass. Es ist oft unaufgeräumt und chaotisch. Es klingen die Flaschen. Und die Gläser. Man trinkt. Man wird beschwingt. Man wird beschwipst. Man wird betrunken. Dann lässt die Wahrnehmung nach.

Du gestaltest auch Identitäten bzw. Etiketten – siehst du die Architektur als Teil der Corporate Identity?

Die Architektur ist ein wesentlicher Teil der Corporate Identity. Als Elemente hat der Weinbauer ja nur den Wein selbst, die Flasche. Seine Medienmaschinerie. Und eben sich selbst. Als Medium. Und als Verbindung zwischen ihm, dem Wein, der Landschaft und den Weingärten fungiert das Gebäude. Bei Fred Loimer hat sich das lehrbuchmäßig gezeigt: Zuerst lokal angefeindet und als Schandfleck bezeichnet, dann in allen Medien gefeiert, weltweit publiziert, in Büchern, Zeitungen und Zeitschriften.

Die Etiketten sind für mich die Essenz. Auf allerkleinstem Raum muss die Botschaft transportiert werden. Bei Loimer war es die Klarheit, der Weißraum. Die Botschaft: Ich bin echt! Die Etiketten sind seit 15 Jahren unverändert und behaupten sich gut gegen andere. Ich denke, das bleibt so. Und das Logo mit dem Wappen des 2000 Jahre alten polynesischen Fruchtbarkeitssymbols in Verbindung mit der Typo war das Zitat, die Persiflage auf die Wappen der adeligen Weingüter.

Das erste Mal ist in der Regel ausbaufähig – gilt das auch für dein erstes Weingut? Was würdest du, hast du bei deinem zweiten anders gemacht?

Einerseits bei der Planung und Zusammenarbeit mit dem Winzer, andererseits bei der Umsetzung und beim Bau des Weinguts?

Der Ansatz wäre derselbe, lediglich die Umsetzung wäre anders, verfeinert. Man lernt dazu. Stündlich. Ich würde Teile des Hauses aus Lehm bauen. Mein idealer Entwurf für ein Weingut ist das unsichtbare Weingut, eingegraben, und ein Loch mit einer Klappe zum Reinsteigen. Leider braucht man die Traubenannahme. Das ist der einzige Teil, der oberirdisch sichtbar ist. Und meistens eine Mordsunordnung macht. Wegen der vielen Geräte und Fahrzeuge. Bei Loimer und de facto auch bei Niepoort (ein großer Winzer in Portugal – Anm. d. Red.) habe ich alles eingegraben.

Wie hat sich die Realisierung deines ersten Weinguts auf dein weiteres Schaffen ausgewirkt?

Vor allem für Laien ist das ein interessanteres Thema als ein Krankenhaus oder ein Kernkraftwerk. Die Publikationen stapeln sich meterhoch, obwohl ich genau nichts dazugetan habe. Ich bin ja unfähig bei der Selbstvermarktung.

Wein greift auf alte Traditionen zurück, die Moderne in der Architektur hat mit den Konventionen gebrochen – welche Sprache muss ein Gebäude für Wein heutzutage sprechen?

Es muss echt sein.