(Auftritt Bottura)

Wo ist der Ursprung? Massimo Bottura gähnt. Der Tag gestern war lange, sein Restaurant wie immer voll.

Wo ist der Ursprung?

Jetzt ist es früher Nachmittag und in der Küche wird hektisch für den Abend vorbereitet.

Die Frage quält ihn ein bisschen; quält ihn, weil sie schon soooo oft gestellt wurde und weil Bottura nicht immer das ewig Gleiche wiederholen will, das er seit Jahren schon in die Mikrophone der Journalisten spricht oder es in ihre Notizbücher diktiert.

Wenn Sie die Frage langweilt, fällt der Fragesteller in die Stille ein, dann bitte ich Sie, die Antwort einfach zu lassen.

„Nein“, sagt Massimo Bottura, um Freundlichkeit bemüht, „ich sage eben das, was ich immer sage, dass der Ursprung die Osteria ist, die Gastronomie des Volkes. Ich weiß aber, dass ich trotzdem falsch verstanden werde.

Warum?

„Weil man annimmt, dass ich irgendwann dorthin will."

Und das wollen sie nicht?

„Nein, das will ich nicht. Nicht zum Ursprung. Also nicht so, wie sie es annehmen. So einfach nicht. Nicht mit einfachen Rezepten. Ich bin hier, um Zutaten neu zusammenzustellen, Speisen anders zu kombinieren, Temperaturen einzusetzen und auch Technik. Das ist die Aufgabe eines Kochs, der mehr will, als nur den Hunger seiner Gäste zu stillen.

Das will ich freilich auch. Nicht, dass sie mich missverstehen. Sehen sie, jetzt muss ich wieder viel erklären, weil sicher etwas falsch verstanden wird“

Sehen sie sich als Künstler?

„Auf die Frage habe ich gewartet“...

Eine kaufkräftige Klientel mit Lebenskultur, also. Auch hier, vor allem hier in Modena. Diese Leute gehen gerne exzellent essen und sind kulinarischen Experimenten durchaus zugetan, solange diese – bei allem Manierismus – das Wichtigste erfüllen: das Schmecken. Schmecken ist in Italien wichtiger als Sattwerden.Er kocht in seiner Geburtsstadt, der er verbunden bleibt, ohne draus ein Tamtam zu machen.

Massimo Bottura ist Küchenchef. Er stammt aus Modena, ist fortgegangen, wiedergekommen und hier geblieben. Er kocht also in seiner Geburtsstadt, der er verbunden bleibt, ohne draus ein Tamtam zu machen. Er kocht in seinem Restaurant, der Osteria Francescana, das er vor zwanzig Jahren eröffnet hat. Oberitalien ist für gehobene Kulinarik die beste Gegend der Welt.

Hier, in der flachen und elendsfaden Emiglia, gibt es eine grandiose landwirtschaftliche Vielfalt.

Hier gibt es Parma-Schinken, Parma-Käse (zu dem kommen wir später noch kurz zurück) und Modena-Essig samt Modena-Wein. Die Mortadella nicht vergessen. Leibspeisen-Wurst.

Er kocht in seiner Geburtsstadt, der er verbunden bleibt, ohne draus ein Tamtam zu machen.

Der Modena-Parma-Mantua-Emiglia-Wein heißt Lambrusco und wer immer noch glaubt, Lambrusco wäre bloß Plörre, die man an der Tanke im Zweiliter-Gebinde kriegt, dem ist nicht zu helfen.

Es gibt ganz großartige Lambrusco. Auch bei Massimo Bottura.

Der Sommelier ist freundlich, sieht es aber lieber, wenn man einen Barolo lüften lässt.

In Oberitalien gibt es alles, was man braucht.

Und alles, was einem glücklich macht. Und es gibt Arbeit, eine mittelständische Industrie, auch Design, Mode – die vielen schönen Dinge, die es in Deutschland nicht gibt.

Dafür hat Deutschland weniger Schulden. Wenn ́s glücklich macht, dann bitte.

(Abgang Bottura)

Eine kaufkräftige Klientel mit Lebenskultur, also. Auch hier, vor allem hier in Modena. Diese Leute gehen gerne exzellent essen und sind kulinarischen Experimenten durchaus zugetan, solange diese – bei allem Manierismus – das Wichtigste erfüllen: das Schmecken. Schmecken ist in Italien wichtiger als Sattwerden.

Massimo Bottura war von frühester Jugend an ein Koch, der mehr wollte, als viele andere Köche Italiens.

Massimo Bottura war von frühester Jugend an ein Koch, der mehr wollte, als viele andere Köche Italiens, die nicht viel wollen müssen, weil sie schon von Haus aus mehr können, als die meisten anderen Köche der Welt.

Sie kennen die regionalen Produkte und ihre Möglichkeiten.

Und sie wissen wie man würzt und abschmeckt. Aber das ist nicht alles, denn italienische Köche haben auch noch das Geschenk ihrer Heimat zu verwalten: die regionale Vielfalt, die es in keinem anderen europäischen Land in so drastischer Ausprägung gibt.

Das manifestiert sich zum Teil in absurden Wettbewerben, z.B. welches Dorf den beste Radicchio anbaut. Viele Gemeinden Italiens nehmen solche Wettbewerbe ernster, als die Fussballliga. So entsteht Können durch Kennen und verdichtet sich verspielt zum Allgemeingut. Kein Wunder, dass in einer solchen Umgebung die beste regionale Küche entsteht. Und kein Wunder auch, dass Köche wie Massimo Bottura diese zu ihrer eigenen Kreation formen und im kulinarischen Welterbe erden.

Kulinarisches Welterbe? Klingt das nicht etwas anmaßend?

Ja, mag sein, aber gerade Bottura ist der beste Beweis, wie man modern kochen kann, ohne je die Moden als Kreateur der Moden verwendet zu haben. Bottura ist kein Alain Ducasse. Aber Ducasse lud ihn vor Jahren ein, bei ihm an der Cotê ein bisschen die Pfannen zu schwingen. Bottura ist kein Ferran Adria (El Bulli), doch die menschgewordene Gebärmutter der Molekularküche lud ihn zu sich nach Rosas ein, sich in der Aromendekostruktion weiterzubilden. Bottura ging, blieb ein bisschen, sah sich alles an, machte mit, und ging wieder heim nach Modena. Dort holte er den ersten Michelin Stern. Seit 2011 hat er drei.

Bottura war immer da, immer irgendwie interessant, Gesprächsthema, und ging dabei keinen auf die Nerven.

Er macht sich nicht groß wichtig.

Er neigt aber im Gespräch zu einer für manche verstörenden Selbstgewissheit, die man in unseren Breiten immer fälschlicherweise als Arroganz brandmarkt. Wenn ein Gast Bottura was über Küchen und Kochen erzählt („Ich war schon Daunda und Dortunddort und der Soundso kocht neuerdings viel mit Chili“), hört er nicht interessiert zu, wie manche Gäste das erwarten. Bottura interessiert es wenig, wie ein anderer Dreisternekoch anderswo kocht, denn was er kann, das weiß er.

Bottura war immer da, immer Gesprächsthema, und ging dabei keinem auf die Nerven.

Und was er weiß, kann er. Die wichtigen, inspirierenden Köche sind immer zu ihm, in seine Francescana gekommen. Weil er ein Geheimtipp war. Die wichtigen, inspirierenden Küche haben Bottura gefunden und kurz entführt. Aber Modena hat er nie aufgegeben.

„Stimmt nicht“, sagt Massimo Bottura, „vor mehr als zwanzig Jahren war ich ein paar Monate in New York. Das würde auch funktionieren. Also ich in New York."

Was haben sie dort gemacht?

"Meine Frau kennengelernt.

Bottura, der ewige (jetzt nicht mehr) Geheimtipp, verdankt seinen Aufstieg nicht alleine seinem Können und den drei Sternen des Guide Michelin; Bottura ist ein Produkt eines einflussreichen neuen Fressführers, eigentlich einer Auszeichnungmaschine, die die Mineralwasserfirma San Pellegrino jährlich anwirft, um ein Ranking zu erstellen, das „Die besten 50 Chefs und ihre Restaurants.“ heißt. Oder so ähnlich. Die Pellegrinos lassen eine (nicht unumstrittene) Jury bestimmen, wer zu diesen 50 Besten zählt.

Oder Pia Leon und Virgillio Martinez und ihr Restaurant Central in Peru. Die San Pellegrino Leute haben die neue Weltküche in Lateinamerika festgemacht. Das hat ihnen Ferran Adrià (El Bulli) gesteckt.

Derart populär läuft auch sein neuer peruanischer Laden in Barcelona gut. Pellegrino statt Michelin. Und die Köche als Macher, auch als Intellektuelle. Statt nur Handwerker hinter dem Herd.

„Ich bin gerne Handwerker“, sagt Massimo Bottura. Aber er sagt es nicht jetzt gerade, sondern sagte es in einem anderen Interview. Jetzt steht Bottura in der Küche und scherzt kurz mit seinen Köchen. Dann muss er wieder irgendwas kreieren. Das ist schon eine Manie bei ihm, sagen seine Mitarbeiter. Bottura ist der Intellektuelle unter den weltbesten Köchen.

„Ich bin gerne Handwerker.“

Er kennt sich irre gut in der Gegenwartskunst aus (kein Wunder, seine New Yorker Frau ist Kunstkuratorin) und kann irgendwelche Philosophen zitieren, die er auch erfunden haben könnte, so unbekannt sind sie. Aber es klingt immer richtig klug.

Und weil er sich in der Rolle des Denkers und Dekonstrukteurs gefällt, muss er jeden Tag über eine Speise nachdenken.

Das kann nerven (tut es), das kann schiefgehen (tut es nie), das ist Notwendigkeit. Denn sein Hirn schreit nach Arbeit.

Botturas Küchenstil ist nicht ausgemacht jedermanns Sache. Gottseidank! Aber er ist aus vielen Möglichkeiten gestaltet, die eigentlich für jeden etwas auf den Teller mitbringen. Ein bisschen Klassik, ein bisschen Fusion der Regionen, ein bisschen viel noch Molekularküche. Schäumchen und so.

Die altlinken Fresskritker vom Gambero-Rosso bremsen ihre Wertung stets bei 95 von 100 Punkten. Man merkt: Sie halten Bottura ein klein wenig für einen Chi-Chi-Chef. Aber sie müssen ihn mögen. Mag er doch Slow-Food und Bio und alles, was ihnen wichtig ist. Ein Verbündeter, den man eben nicht ganz nach vorne lässt. In die erste Reihe aber sicher.

Bottura kommt aus der Küche und erklärt, dass er jetzt ernsthaft mit dem Arbeiten anfängt. Also war ́s das jetzt! Gegessen habe man ohnehin mittags bei ihm und nachdem auch der hundertste Journalist dieses Jahr die immergleichen Fragen stellt, ist ihm wohl ein bisschen langweilig.

„Noch Fragen?“

Nein, die Kreationen sprechen sowieso für sie, die Brigade, das Lokal und das Konzept auch. Und den Rest hätte ich mir im Internet zusammenklauen können.

„Endlich mal ein Schreiber, der das einsieht.“

Ja, das nächste Mal komme ich einfach nur essen und störe sie gar nicht.

„Da müssen sie aber zahlen.“

Geht sich aus. Ich bin ein Rothschild-Erbe.

„Echt?“

Auf die Frage habe ich gewartet.

„Noch Fragen?“

Jetzt könnte man gut Schluss machen hier. Doch zwei Sachen fehlen noch. Erstens brauche ich ein Rezept, das ich hier hinter die Geschichte reinstellen kann – wer weiß, vielleicht kocht das einer sogar nach. Und zweitens: Wie war das mit dem kaputten Parmesankäse?

Man hört, sie machen selbst Müll zu Gold!

„Oh, das hat gar keinen so lustigen Hintergrund. 2012 hat es hier ordentlich gebebt. Also die Erde, verstehen sie?

Bei den Parmesanherstellern sind die meterhohen Regale umgefallen. Dort steht der Käse bis an die Decke. Der Käse war noch genießbar, aber zerbrochen. Und der Konsument in anderen Ländern kauft so etwas nicht. Was ich nicht verstehen kann.

Also habe ich ein Risotto-Rezept erfunden, nichts Kompliziertes, aber etwas Eigenes, etwas in dem diese Berge von kaputten Parmesankäse verschwinden können.

Und die Leute hier haben es nachgekocht. So kam auch der kaputte Parmesan weg.“

Und so wird Kochen zur Solidarität.