Manspreading am Atterseeufer. Alain Passard sitzt entspannt und breitbeinig auf einem niedrigen Plastikstuhl, er trägt azurblaue, knielange Hose und weißes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln. In der Hand ein von außen beschlagenes Glas Champagner.

Am Vorabend kochte er für 60 Gäste der Familie Wolf in Steinbach ein Menü zum Preis von Tausend Euro. Es enthielt ausschließlich Gemüse, weder Fisch noch Fleisch.

Passard wirkt wie der ältere Jean-Paul Belmondo. Sein einnehmendes Lächeln, seine Eleganz, die Körpersprache eines Gewinners.

„Der Champagner ist zu warm“, sagt er. Kein Wunder, an diesem Nachmittag hat es 33°C. Der See selbst hat die 25°C-Grenze bei der Wassertemperatur überschritten. Die einzige Möglichkeit, gegen die weltweite Champagner-Erwärmung etwas zu unternehmen, ist es, das Glas schnell zu leeren. Wissen das die Politik und die NGOs?

Schluck: Wie kamen Sie vor zwanzig Jahren auf Gemüse?

Alain Passard: Es war wie ein Traum, wie ein Schicksal, eine Eingebung. Damals habe ich alles umgestellt. Ich habe sozusagen den Beruf gewechselt.

 

Sie waren kein Koch mehr?

Doch, aber nur noch mit Gemüse zu kochen, hat auch viel mit Kunst zu tun. Es ist wie Fashion Design.

Wir haben jetzt Sommer und Sie servierten gestern Abend zum Champagner-Aperitif winzige Paradeiser, gegrillte Zwiebel und Rüben sowie Radieschen aus Ihren Gärten in den Vororten von Paris. Vermutlich Ihre Lieblingssaison, nicht wahr?

Da muss ich Sie enttäuschen. Ich habe vier Lieblingssaisonen und das sind die vier Jahreszeiten. Die Arpége im Sommer ist im Winter nicht wiederzuerkennen und umgekehrt. Ich bin im Frühling ein anderer Koch als im Herbst.

War es schwierig am Anfang? Zuerst der Verzicht auf rotes Fleisch, später dann die Hinwendung zum Vegetarischen?

Das kann man sagen, dass es schwierig war. Aber nur anfänglich. Denn bald unterschied sich meine Klientel sehr von den Gästen anderer 3-Michelin-Sterne-Restaurants in Paris. Es kamen mehr Designer und Künstler, mehr Intellektuelle und Fashionistas.

Passard zaubert aus Gemüse Gerichte, wie dieses Sushi mit Rüben, welche Kritiker und Gäste seit vielen Jahren in Verzückung versetzen. (© DosSantos/Lemone)

Vor allem zu Mittag ist das Publikum sehr unterschiedlich zu dem Publikum anderer Spitzenrestaurants.

Viele Gäste kommen regelmäßig, manche sind Freunde. So lernte ich auch Anna Wolf kennen. (Die Tochter von Carlo Wolf, verstorben 2016, arbeitet in Paris in der Modebranche – Anm.) Aufgrund unserer Bekanntschaft bin ich heute hier.

Kulinarische Gastspiele von Alain Passard sind so rar wie teuer. Er reist nicht viel und wenn, dann muss sein Gemüse mit ihm reisen. Es wird mit Kühlwägen aus Frankreich gebracht. Nur bei wenigen Tellern greift er auf lokale Gemüse zurück, wie in diesem Fall Salate und grüne Bohnen aus dem wunderschönen Garten rund um das Steinbacher Forstamt, die Residenz der Familie Wolf am Attersee.

Sie bezogen schon damals einen großen Teil Ihres Gemüses von eigenen Gärten in der Bretagne. Mittlerweile haben Sie noch ein paar Gärten in der Nähe von Paris.

Mein Jardinier ist mein wichtigster Partner. Ohne ihn wäre ich hilflos.

Wenn Zwiebel, dann nur vom Besten, wenn Lauch, dann nur vom Besten, wenn Jakobsmuschel, dann nur ... Moment, sagten wir nicht Gemüse? (© DosSantos/Lemone)

Heute gibt es ja kaum mehr ein modernes Restaurant ohne ein vegetarisches Menü im Angebot. Gemüse ist fast schon Mainstream. Eine Bestätigung für Sie?

Nun, ich fühle mich allerdings bestätigt. Denn ich war damals der Erste. Der Erste, der ein vegetarisches Essen in einem mit 3 Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurant anbot. Und damit Erfolg hatte. Heute kommt es mir vor, als hätte ich es immer schon gesagt.

„Ich denke, dass Vegan wirklich die Küche der Zukunft ist.“

Kurzer Einwand: Schon Alain Ducasse in Monaco und Jörg Wörther in Zell am See boten in den Neunzigerjahren ihren Gästen rein gemüsebasierte Speisenfolgen. Doch niemand wusste diese Idee so gut zu verkaufen wie Alain Passard. In Paris gilt der Küchenchef als kulinarischer Volkstribun. Jeder Taxifahrer kennt seinen Namen. Seine Rezepte hat er in Form eines Comics veröffentlicht. Bei der Liste der 50 Best Restaurants stehen Alain Passard und L’Arpège stets an vorderster Stelle.

Der Zeitpunkt dieser Umstellung fiel übrigens in die Zeit der BSE-Skandale und der europaweiten Panik vor Rindfleisch. Gab es da einen Zusammenhang?

Weniger. Die BSE-Skandale und meine erwachende Liebe zum Gemüse überschnitten sich lediglich zeitlich zufällig. Es war Neugierde. Auf einen neuen Geschmack. Eine neue Route einzuschlagen. Natürlich spielten Gesundheit und alles das eine Rolle. Aber nicht die wichtigste.

Alain Passard hat seinen Schülern eingebläut: Weniger Punkte am Teller, lieber mehr Geschmack. Und: Funktioniert ja. (© Thomas Collin)

Klar, man ist ja in Frankreich. Der Geschmack hat immer Vorrang, nicht wahr?

Ja. Mir ging es darum, eine neue Welt des Kochens zu betreten. Das hat mich gereizt. Mit weniger auskommen und dabei besser werden.

Mit Ideologie haben Sie es weniger ...

Nicht so sehr. Obwohl: Kochen hat heutzutage viel mit Ideologie zu tun. Die vegane Küche ist sehr ideologisch. Aber das ist es nicht, was mich an ihr reizt.

Vegan reizt Sie?

Vegan zu kochen, ist sehr diffizil, sehr aufwendig. Ich denke, dass vegan wirklich die Küche der Zukunft ist.

Dinge wegzulassen, das macht es spannend.

Können Sie sich vorstellen, in der Arpège einmal vegan zu kochen?

Kann ich mir sehr gut vorstellen. Eine Küche ohne Creme fraîche, ohne Ei und ohne Butter. Das fasziniert mich.

Wie es einen Maler reizt, einmal eine Zeit ohne die Farben Gelb und Blau zu arbeiten. Die Dinge wegzulassen, das macht es spannend.

Wie steht Alain Passard zu den aktuellen Trends in der Küche? Zurzeit redet die halbe Welt von Fermentation.

Man hat ja in vielen Regionen keine Wahl. Aber für mich, für uns Köche in Frankreich, ist das nicht notwendig. Die Winter sind mild. Wir haben hier ein Klima, wo es eigentlich das ganze Jahr über frisches Gemüse gibt.

Sie verraten uns nicht etwa Ihre Lieblingsrestaurants in Paris? Schließlich sind es Ihre Konkurrenten.

Gar nicht. Ich empfehle immer gerne L’Astrance, L’Agapé, Saturne oder Septime. Die Küchenchefs dort sind übrigens alles Ex-Mitarbeiter von mir.

Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht im Garten oder in der Küche sind?

Ich spiele Saxofon. Ich liebe Jazzmusik.

"Kochen hat viel mit Kunst zu tun. Es ist wie Fashion Design," meint Alain Passard. (© Bernhard Winkelmann)