Konrad, wie kamst Du zur Fotografie?

Ich beschäftigte mich in den letzten Jahren viel mit der fotografischen Dokumentation von Städten und Architektur, was mich zu meiner derzeitigen Tätigkeit als freiberuflicher Fotograf geführt hat. Ursprünglich habe ich ein Soziologie- und Journalistik-Studium abgeschlossen. Zur Fotografie kam ich erst 2013, vor allem beeinflusst von der Berliner Instagram Community der ersten Stunde: Michael Schulz (@Berlinstagram) und Linda Berlin (@lindaberlin). 

© Juan Camilo Roa

Welche Motive hast du anfangs fotografiert, und haben sich die Motive im Laufe der Zeit verändert?

Damals wie heute inspirieren mich Stadtlandschaften und Muster, Farben und Formen, die ich in ihnen erkennen kann. Ich fange in meinen Motiven die Architektur und die verschiedensten Blickwinkel auf eine Stadt ein. Anfangs noch sehr amateurhaft mit dem Smartphone, just for fun. Die Recherche und der zeitliche Aufwand, geeignete Motive zu finden, wurden mit der Zeit intensiver. Doch auch heute noch fotografiere ich unterschiedliche Blickwinkel auf die Stadt, ihre urbane Architektur und alles was man auf den Straßen so findet. 

Mich inspirieren Stadtlandschaften und Muster,
Farben und Formen, die ich in ihnen erkennen kann.



Woher kam das Interesse und der Blick für genau diese Motive?

In meiner Jugend bin ich viel Skateboard gefahren, habe damit die Stadt und ständig neue Skateboard Spots entdeckt. Skateboarding nutz Architektur auf kreative Art und Weise. Genauso ist es mit meiner Fotografie. Ich nutze die Stadt als kreative Spielfläche, indem ich sie mit meinem Blickwinkel verändere und einen ungewöhnlichen Blick darauf zeige.


Und wie genau scoutest und dokumentierst du diese neuen Ecken dann? 

Am Liebsten zieh ich einfach durch die Stadt bei gutem Licht, guck mir Stadtteile an und lass mich treiben. Alle Spots, die ich unbedingt fotografieren will, sammele ich in einer Liste mit Notizen bei Google Maps. Manche davon recherchiere ich auch im Internet oder bei Instagram, wobei ich kein Fan davon bin, ein Foto von einer Location zu machen, an der sich schon andere Fotografen abgearbeitet haben. Es reizt mich auch überhaupt nicht, Sightseeing Spots abzufotografieren, von denen es schon unzählige Reiseführer und Postkartenmotive gibt.  Inspiration finde ich eher in der Peripherie, also dort, wo fotografische Blicke noch einzigartig sind. Plattenbaugebiete wie Marzahn, Hohenschönhausen oder das Märkische Viertel bieten mir dahingehend viele Fassaden und spannende Perspektiven, die ich nicht auf der Museumsinsel oder am Brandenburger Tor finde.

Inspiration finde ich eher in der Peripherie,
also dort, wo fotografische Blicke noch einzigartig sind.



Würdest du sagen, dass auf der Suche nach ungesehenen Spots Berlin irgendwann fotografisch für dich abgegrast ist? 

Früher hab ich bei meinen Streifzügen natürlich immer etwas Neues entdeckt. Heute gibt es auch immer noch neue Orte zu entdecken, doch es wird zunehmend schwieriger. Wenn du mir ein Bild von einer Ecke in Berlin zeigst, kann ich dir genau sagen, wo das ist. In meinem Kopf habe ich eine Art 3D-Map mit tausenden Gebäuden abgespeichert.  


Heute betrachte ich bei meinen fotografischen Streifzügen manche Orte in einem neuen Licht oder fange einen Ort in einem zufälligen und überraschenden Moment ein. Solche Zufälle ergeben die besten Motive. Beispielsweise habe ich neulich in der Nähe vom Park am Gleisdreieck einen alten, roten Mini Cooper vor einer roten Fassade fotografiert, der für einen Moment im Halteverbot parkte. Die Komposition war einfach perfekt.

Zufällige, überraschende Momente ergeben die besten Motive.


Oder neulich war ich an der Baustelle am Bauhaus Archiv in Schöneberg spazieren. An einer Stelle, an der ich sonst nie lang gehe, entdeckte ich auf einmal Street Art: auf den Boden gemalte Linien, die eine optische Täuschung ergeben. Das Bild ging bei Instagram voll durch die Decke und es stellte sich heraus, dass das Kunstwerk schon seit einem Jahr dort existiert. Ich war total verblüfft, dass das noch niemand vor mir fotografiert hatte, was zeigt, dass Berlin doch noch nicht ganz ‘abfotografiert’ ist. 


Welche anderen Orte in Berlin willst du noch fotografieren?

Einige aktive oder mittlerweile auch stillgelegte Stadtbäder und bestimmte Bauten auf dem Olympiagelände. Auch viele Regierungsgebäude sind spannend, allerdings nicht gut zugänglich. Das Auswärtige Amt beispielsweise bietet so manchen architektonischen Leckerbissen.  


Und wenn du das alles im Kasten hast, wohin zieht es dich dann? 

Mich reizt Asien sehr, nicht nur fotografisch, sondern auch weil ich dort gern reise. Vor allem Mega Cities wie Shanghai und Hongkong sind sehr beeindruckend, denn dort eröffnen sich ganz andere urbane Dimensionen im Vergleich zu europäischen Städten wie Berlin, Paris und London. 


Was mich außerdem total fasziniert ist Sibirien. Ich sehe mir immer mal wieder Serien von Fotografen an, die im Winter dort sehr unwirtliche, nahezu künstlich wirkende Städte mit Plattenbauten und Chemiewerken einfangen. Dort würde ich gern mal fotografieren.


Da du jetzt mehrfach das Stichwort Plattenbau genannt hast, was genau fasziniert dich daran?

Schon als kleiner Junge fand ich es spannend, mit meinen Eltern an den Plattenbauvierteln in meiner Heimatstadt Cottbus vorbeizufahren. Ihre Höhe und Größe haben mich sehr beeindruckt, ich habe dann immer Balkone und Fenster gezählt und geschaut, wo überall Licht brennt und wo kein Licht brennt. Heutzutage spielt eine gewisse Nostalgie beziehungsweise Ostalgie eine Rolle, doch fotografisch betrachtet faszinieren mich Plattenbauten vor allem, weil ich sie grafisch in Szene setzen kann, viel mehr als beispielsweise eine Altbaufassade. Es ergeben sich gewisse Muster und grafische Flächen, an denen ich mich fotografisch austoben kann. 

Hongkong ist das Schlaraffenland der Plattenbauten.

In Hongkong beispielsweise entfaltet sich das Ganze noch einmal in völlig anderen Dimensionen. Dort gibt’s diese Megablöcke mit bis zu 70 Stockwerken, in tollen Pastellfarben, das ist quasi das Schlaraffenland der Plattenbauten. Deren Wucht ist so faszinierend und auch der Gedanke, was diese ganzen Leute, die dort wohnen, wohl alle so machen. Doch manchmal fahr ich auch einfach nur gern nach Marzahn raus, um mich zu entspannen, denn da passiert halt nicht viel. Das ist eine ganz andere Welt im Vergleich zu Berlin-Mitte.


Seit geraumer Zeit sieht man in deinen Architekturaufnahmen auch Tänzer:innen und Sportler:innen. Wie kam es dazu?
Es gab eine Zeit, in der ich nicht genau wusste, wie ich meiner Architekturfotografie einen neuen Twist verleihen kann. Die meisten Orte hatte ich schon oft und in verschiedenen Perspektiven und Lichtstimmungen eingefangen. Ein Tänzer-, Choreografen- und Fotografen-Duo aus Los Angeles inspirierte mich dann bei seinem Besuch in Berlin dazu, Tänzer:innen in meine Kompositionen zu integrieren. Für diese Motive suche ich dann die Locations und Settings so aus, dass beispielsweise die Farben oder Schattenspiele der Architektur zum Outfit und Posing der Performer:innen passen. 


                             


Wenn wir beim Thema Entdecken neuer Orte bleiben, nach welchen fotografischen Kriterien bereist du andere Städte? Suchst du dir eine Destination gezielt nach ihrer Architektur aus? 

Meine Art des Reisens hat sich durch Instagram und meine Fotografie definitiv verändert. Bevor ich eine Reise antrete, schaue ich, ob ich dort Fotos machen und fotogene Architektur finde, was nicht immer so ganz d’accord geht mit meiner Freundin, die in erster Linie verreist, weil sie an anderen Orten bestimmte Dinge unternehmen kann.


Doch egal ob Kopenhagen, Dubai oder Bukarest: im Grunde finde ich in jeder Stadt der Welt etwas Spannendes, das ich mit der Kamera einfangen kann. Da stört mich meist auch nicht der Stadtlärm. Für mich ist es einfach nur Erholung, etwas Neues zu sehen, durch eine Stadt zu laufen und sie für mich zu erschließen. Ich brauche keinen Urlaub am Strand.


Und würdest du sagen, das diese neuen Eindrücke deinen fotografischen Blick schulen beziehungsweise erweitern?
Auf jeden Fall! Neue Orte entdecken, Überraschungen finden, und mich freuen, wenn ich ein tolles Bild gemacht habe, ein Bild, dass ich vielleicht vorher so noch nicht gesehen habe, das inspiriert und motiviert mich und ist der Antrieb hinter meiner Arbeit.

Für mich ist es einfach nur Erholung, etwas Neues zu sehen, durch eine Stadt zu laufen und sie für mich zu erschließen. Ich brauche keinen Urlaub am Strand.



Abgesehen von den asiatischen Mega Cities, welche urbanen Orte, vielleicht sogar Gebäude haben dich auf deinen Reisen fasziniert? 

San Francisco fand ich sehr spannend, weil es eine sehr farbenfrohe Stadt ist und man durch die vielen Hügel immer wieder verschiedene Perspektiven entdecken kann, von oben nach unten, von unten nach oben, Nähe und Weite. Ich glaub ich bin noch nie so viel gelaufen wie dort, im Schnitt 30 Kilometer am Tag, weil ich alles zu Fuß erkunden wollte. 


Chicago war auf eine andere Art und Weise spannend. Insbesondere Downtown ist ein Spielplatz für Fotografen. Eine tolle Skyline mit vielen Wolkenkratzern aus den verschiedensten Epochen, die teilweise schon vor 100 Jahren sehr hoch gebaut wurden. Ein beeindruckender Architektur-Mix inklusive Art Deco und Hochhäusern im “Mad Men” Style.


In Porto war ich auch schon zwei Mal, was ziemlich unterbewertet ist, jedoch total beeindruckend. Sehr bunt und auf jeden Fall rauer als Lissabon, mit seiner Industriekultur, einem großen Hafen und dem Meer. 


   

An Gebäuden im Speziellen hat mich in Barcelona der Hochhausblock Walden 7 beeindruckt, der von Ricardo Bofill designt wurde. Die offene Architektur eröffnet viele tolle Blickwinkel und geometrische Perspektiven. Da gehen die Treppen von links nach rechts und von rechts nach links und man fühlt sich ein bisschen wie bei Harry Potter. 


Nun nochmal kurz zurück nach Berlin: In welchen Restaurants und Bars trifft man dich am Ehesten? 

Da, wo es Ramen, Hummus oder authentisch Chinesisches zu Essen gibt. In meiner Nachbarschaft im Prenzlauer Berg zum Beispiel die Restaurants Takumi 9, Zula, Lecker Song und Wok Show. Gehobenere Küche in perfekter Alt-Berliner Kneipen-Atmosphäre findet man in bei Frau Mittenmang - dort mag ich es sehr gerne. 


Außerdem geh ich gern in Bars über den Dächern Berlins, mit einem interessanten und einzigartigen Blick auf die Stadt, wie zum Beispiel den Klunkerkranich oder etwas feiner die Monkey Bar oder Solar Bar. 

          

Wenn es hoffentlich bald wärmer wird, welche Orte für ein Picknick mit Aussicht kannst du empfehlen? 

Mein Lieblingsort ist das Tempelhofer Feld, weil es einer der wenigen Orte in Berlin ist, von dem aus man das Auge schweifen lassen kann. Straßenfluchten öffnen sich plötzlich zu einer großen Fläche und man kann den Horizont mitten in der Stadt sehen.


Nicht weit davon ist der Victoria Park. Auf dem Hügel lässt es sich prima über Kreuzberg gucken, mit einer weiten Sichtachse Richtung Tempodrom. Ganz weit im Westen kann man gut auf dem Drachenberg picknicken und in die Ferne gucken, das ist der Berg neben dem Teufelsberg.


Auch etwas weiter draußen gelegen, in die entgegengesetzte Richtung, ist ein Areal in Oberschöneweide in der Nähe vom Funkhaus. Dort kann man schön am Wasser sitzen und picknicken. Die Spitze der Stralauer Halbinsel mag ich auch sehr gern. Dort kann man die Picknickdecke zwischen Trauerweiden aufschlagen und die Füße ins Wasser halten, umrahmt von Rummelsburger Bucht und Spree. 

Straßenfluchten öffnen sich plötzlich zu einer großen Fläche und man kann den Horizont mitten in der Stadt sehen.


Letzte Frage: Was wünschst du dir für die nächste Zeit?

Ein bisschen Reisen wäre super. Belgrad fänd ich ganz spannend, unter anderem wegen seiner sozialistischen Architektur. Wir überlegen auch, mit Freunden nach Sizilien zu fahren. Ansonsten hoffe ich, dass die Menschen die Pandemie gut verarbeiten und sich der Trend zur Achtsamkeit fortsetzt, der sich im letzten Jahr in vielen Belangen unserer Gesellschaft entwickelt hat.


Das hoffen wir auch. Vielen Dank für das Interview, Konrad! 

konradlanger.com
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