Mein Freund flucht: „Ich hasse backen.“ Er starrt wütend auf einen Haufen Mehl mit gelben Klumpen vor ihm. Ich lasse vom Apfelschälen los und erlebe aus nächster Nähe den faszinierenden Kampf von David gegen Goliath. Bzw. von Mürbeteig gegen gestandenes Mannsbild. Bevor der Teig Goliath die finale Kugel entgegen schleudert, pfeffert dieser ihn in letzter Konsequenz in den Mülleimer. Kurzes Durchschnaufen. Dann greift er von Neuem zum Mehl.


Es gibt kein „Papi hat gekocht“ oder „Das Fleisch kann ich nicht, das musst du machen“.

Ein seltener Moment. Denn Goliath kann eigentlich kochen, und das heißt nicht nur am Wochenende ein Entrecote für den Besuch. Ich befinde mich in der glücklichen Situation, dass sowohl ich als auch mein Partner in der Lage sind, uns ein Abendmahl zuzubereiten, welches nicht nur nährt, sondern auch (beiden) schmeckt. Ich nenne es eine kulinarisch gleichberechtigte Beziehung. Es gibt kein „Papi hat gekocht“ oder „Das Fleisch kann ich nicht, das musst du machen“.

Außerhalb der eigenen vier Wände begegnet uns allerdings immer wieder ein ungleich gerichtetes Rollenverständnis. Wenn z.B. im Restaurant automatisch ihm die Weinkarte oder mir der Salat gereicht wird.


Spitzenköchin Ana Roš  (© Hiša Franko)

Solche Phänomene des kulinarischen Genderings finden sich auf verschiedenen Ebenen. Beim Service im Restaurant (Mann Fleisch - Frau Salat). In den heimischen Küchen, in denen es zur natürlichen Pflicht der Frau zu gehören scheint, sich für Kochen und Backen zu interessieren. In Grillbüchern „für hungrige Kerle“ und pinken Überraschungseiern an der Supermarktkasse für Mädchen. Schaut man in die professionellen Küchen, sieht man dort mehr Chefköche als Chefköchinnen am Herd. Eine lange Geschichte.

Bereits Rousseau entwirft in seinem Briefroman Julie ou la Nouvelle Héloïse eine getrennte Speiseordnung für Männer und Frauen. Die hätten demnach eine natürliche Vorliebe für Vegetarisches, Milchspeisen und Süßes. Sie würden die weibliche Sittlichkeit nicht nur symbolisieren, sondern auch garantieren. Ganz im Gegensatz zu Alkohol, Fleisch und Kaffee, die die Tugendhaftigkeit von Frauen gefährdeten.


Fleisch für den Mann, Gemüse für die Frau

Denn Fleisch als nahrhaftes und prestigereiches Lebensmittel galt lange als männlich-patriarchalisches Privileg. Ein blutiges Steak zu essen verkörpert nach Meinung von Carol Adams gar die Wieder-Einschreibung patriarchalischer Werte. Adams gilt als eine der Gründerinnen des Ökofeminismus, der in Teilen auch im Verzicht auf Fleisch einen kollektiv gangbaren Weg zu einer gewaltfreien Gesellschaft sieht. Es gibt allerdings keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Patriarchat und Fleischverzehr. Trotzdem scheint es eine sozialisierte, sich konstituierende Patenschaft des Mannes für das Lebensmittel Fleisch zu geben.


Bärbel Ring vom Söl'ringhof hat gut Lachen (© Söl'ringhof)

Dass das Magazin, das sich auf die Fahne geschrieben hat, kochende Männer anzusprechen, ausgerechnet BEEF genannt wurde, erscheint nahe. Immer wieder finden sich in den Artikeln Darstellungen der Frau als kulinarisch inkompetentes Wesen, das nicht in der Lage ist, Fleisch auf den gewünschten Garpunkt zu braten, sich nur von Pflanzenkost und Wasser ernährt oder alternativ in Darstellungen als konsumierbares Objekt der männlichen Fleisches-Lust. Auf diesen letzten Punkt gebracht hat es einmal die Journalistin Nan Mellinger, als sie in einem Buch über die Kulturgeschichte von Fleisch schrieb:

Betrachtet man Kochshows und die Berichterstattung über Spitzenküche, findet man vor allem männliche Köche. Mediale Aufmerksamkeit weiblichen Spitzenköchen werden erst in den letzten Jahren häufiger.

Die Sommelière Bärbel Ring vom Söl’ring Hof wurde im Oktober 2019 mit dem Food Mover Award ausgezeichnet. Der Berliner Gastro-Guide TIP Speisekarte des Stadtmagazins Zitty hat für eine Ausgabe das Genderthema zur Coverstory gemacht. Langsam scheint es eine Lust auf neue Denkmuster auch in den Medien zu geben.

„Die Frau isst kein Fleisch. Sie ist Fleisch – und damit Nahrung für den Mann.“

Paul Bocuse soll einmal gesagt haben: „Frauen gehören ins Schlafzimmer. Nicht in die Profiküche.“ Dabei hatte der berühmteste Koch Frankreichs von Eugénie Brazier sein Handwerk gelernt. Die 3-Sterne-Köchin war eine jener Lyoner Köchinnen, die als Mères Lyonnaises („die Mütter von Lyon“) zur vorletzten Jahrhundertwende die besten Restaurants der Stadt hielten. Deren Geheimnis war eine einfache Familienküche mit lokalen Zutaten – jene Kriterien, für die der einstige Jungkoch Paul später als Begründer der Cuisine du Marché bekannt wurde.


Die Gastronomie ist Spiegel der Gesamtwirtschaft

Eva-Miriam Gerstner ist eine der Frauen, die es geschafft haben, sich einen Namen zu machen. Nicht als Köchin, sondern als Chefin des Designhotels Q! wurde sie mit Anfang zwanzig international bekannt. Das Hotel wirkte wie ein Magnet auf die internationale Prominenz, von Steffi Graf über Amy Winehouse bis Donatella Versace.

Heute berät sie Hotel- und Gastronomiebetriebe. Den Grund, warum Frauen nach wie vor so wenig in den Chefetagen der Hotel- und Gastronomiebetriebe einen Platz einnehmen, sieht Gerstner nicht branchenspezifisch. „Männer sind einfach besser auf den Karriereleitern. Da ist die Gastronomie leider nur ein Spiegel für die Gesamtwirtschaft.“ Sich als Frau durchzukämpfen, sei anstrengend. „Du musst beweisen, dass du die Eier besitzt. Denn eigentlich bleiben Männer gerne unter sich. Allerdings muss man das heute unterscheiden. Die Jungen sind viel offener als die Generation 50-, 60-jähriger Männer, die heute in den Chefsesseln sitzen.“

„Du musst beweisen, dass du die Eier besitzt. Denn eigentlich bleiben Männer gerne unter sich.

Die Verantwortung liege aber in erster Linie bei jedem Einzelnen, egal ob Mann oder Frau. Es gehe vor allem um eine persönliche Entscheidung. Gerstner: „Frauen sind leider gut darin, Karrierechancen zu verpassen. Dabei sind historisch gesehen wir Frauen die besseren Köche.“ Die Behauptung verwundert, schaut man sich an, welche Personen in der Küche wirklich geschichtliche Relevanz hatten. Von Escoffier bis Adrià, von Ducasse bis Redzepi waren das vornehmlich Männer. Was Gerstner meint: Die alten Rezepte, die traditionellen Gerichte stammen nicht von unseren Großvätern, sondern von den Omas. Bekannt wurden wenige von ihnen. Wenn, dann mit einem Selbstverständnis als Köchin im häuslichen Kontext. Die Haushälterin Henriette Davidis beispielsweise schrieb 1845 das Praktische Kochbuch. Es wurde in den nächsten Jahrzehnten zum wichtigsten Kochbuch für Hausfrauen in Deutschland.

Eva-Miriam Gerstner: „Du musst beweisen, dass du die Eier besitzt."

Nach wie vor haftet der Frau die Rolle der „Ernährerin“ an, die sie in Pflichterfüllung einzunehmen hat. Auch wenn das Bild langsam aufweicht und inzwischen sehr unterschiedliche Arbeits-und-Familienmodelle existieren. Kann oder möchte eine Frau nicht Kochen, scheint es, als verleugne sie einen natürlichen Instinkt, auch in Zeiten von Emanzipation und weiblicher Berufstätigkeit. Ihr Gegenpart ist der stereotype männliche Wochenendkoch.

Stellt sich dieser an den privaten Herd, wird sein Essen zu einem Ereignis. Die außergewöhnliche Leistung wird gerne ausführlich von Gästen besprochen, die sich über das Wie?, Was?, Warum? informieren und mit Lob an den „Helden am Herd“ nicht geizen. Als seien Männer mit einem natürlich bedingten Handicap auf die Welt gekommen, das ihnen das Kochen eigentlich unmöglich macht.

Der Begriff des gastrosexuellen Manns hat vor einigen Jahren versucht, mit dem gleichnamigen Buch von Carsten Otte der steigenden Anzahl an realen Männern, die sich ihrer Leidenschaft Kochen widmen (also nicht nur eine Wurst auf den Grill legen), einen Namen zu geben.


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2017 kam es in den deutschen Medien zu einer Art Initialzündung für die bis heute andauernde Diskussion über geschlechtliche Gleichberechtigung und die bestehenden Machtverhältnisse in der Gastronomie.

Als sich unter der Nominiertenliste des österreichischen Gastro-Branchen-Magazins Rolling Pin für den besten Koch Deutschlands 49 Männer und eine Frau fanden, kritisierten dies Männer wie Frauen auf dem Facebook-Profil des Magazins. Die Kommentare wurden daraufhin gelöscht, die User gesperrt.

Mary Scherpe bloggt eigentlich auf Stil in Berlin, war damals eine der Kritikerinnen an dem Vorgehen des Magazins und wurde zur Mitgründerin des Feminist Food Club. Das Netzwerk bietet Frauen aus der Branche die Möglichkeit zum Austausch und setzt sich u.a. mit Themen von Sexismus und Rassismus in der Gastronomie auseinander (auf internationaler Ebene vernetzt seit 2015 das Parabere Forum).

„Männer können Teil der Lösung von sexistischen Vorfällen sein, indem sie den Mund aufmachen."

Scherpe sieht den sogenannten Gastrosexismus vor allem als strukturelles und mediales Problem. Und genau hier sollte dann auch angesetzt werden. Denn der raue Ton und die Frage nach der Vereinbarkeit von Job und Familie in der Gastronomie betreffen Frauen genauso wie Männer. Statt zu sagen: „Das ist halt so in der Gastro“ müsse man laut Scherpe vielmehr offensiv über die Themen wie ausbeuterische Arbeitsbedingungen oder Geschlechterklischees sprechen und fragen: „Wirklich? Muss das so sein?“

Als 2017 die Kritik an dem Vorgehen des Magazins Rolling Pin immer lauter wurde, entschied sich der Herausgeber zur offensiven Kontaktaufnahme. Er wolle offen über Gastrosexismus diskutieren und lud zum runden Tisch. Allerdings nicht Mary oder eine der anderen Kritikerinnen, sondern er rief zuallererst den Food-Aktivisten Hendrik Haase an, der das Vorgehen ebenfalls kritisiert hatte.

„Der Vorfall und wie damit umgegangen wurde, dass also zuerst ein Mann kontaktiert wurde, hat gezeigt, dass es nach wie vor kein Problembewusstsein gibt. Dass ausgerechnet ich als Mann kontaktiert wurde, zeigt doch, dass sie gerade nicht mit den Frauen als Betroffene sprechen wollten, sondern vor allem einen Schulterschluss gesucht haben.“ Die Rolle der Männer in der Debatte ist für Hendrik klar: „Männer können Teil der Lösung von sexistischen Vorfällen sein, indem sie den Mund aufmachen. Und gerade weil wir meist keine eigenen Erfahrungen mit Sexismus haben, sollten wir den Betroffenen zuhören und sie ernst nehmen.“ Ana Roš ist Autodidaktin und gilt heute als beste Köchin Sloweniens.

Dominique Crenn hält als einzige Frau in den USA drei Michelin-Sterne in ihrem Restaurant Atelier Crenn. In Lima hat Pía León gemeinsam mit ihrem Mann Virgilio Martínez zwei Restaurants groß gemacht. 2018 wurde sie für die Arbeit in ihrem Restaurant Kjolle zum Best Female Chef in Lateinamerika gewählt.

Tanja Grandits, die ausgezeichnete Chefköchin des bekannten Schweizer Restaurant Stucki (© Stucki)


Es gibt genug Beispiele für erfolgreiche Frauen in der Gastronomie. Unterstützt werden müssen sie auch durch die mediale Besprechung ihrer Arbeit, so wie ihre männlichen Kollegen. Denn gerade Kochen lebt von einem Sinn für Vielfalt, Mehrtönigkeit und Synergien. Vor ein paar Wochen hat der Gault&Millau den Koch des Jahres 2020 bekannt gegeben. In der Schweiz ging die Auszeichnung an Tanja Grandits. „Sie begeistert in Basel seit zehn Jahren, trotz allen Schwierigkeiten, setzt ihren Stil unbeirrt durch und hat ihn in diesem Jahr perfektioniert“, erklärte der Chefredakteur des Gault&Millau Schweiz, Urs Heller. 19 Punkte gab es dann auch für ihr Restaurant Stucki. Tanja ist damit die erste Frau, die diese Höchstnote in der Schweiz erhält.