Der Libertin, zu deutsch: Freigeist, lebt mit seiner Freundin Catarina in Lissabon. Dort schreibt er Reportagen mit literarischem Ich - ab und zu auch für Tageszeitungen und Magazine - um sich freitags gute Oliven und portugiesischen Rotwein leisten zu können.

Doch vor allem lebt und liebt er das Leben, reist (gedanklich von der Bar eines Lissaboner Grandhotels aus) immer wieder rund um das Mittelmeer, auf der Suche nach neuen poetischen Augenblicken. Arnold geht es dabei nicht darum, wie viele Orte er sieht, sondern um kleine Beobachtungen und Details, die sich in einem Ort sehen und entdecken lassen. In seiner Buchreihe “Briefe aus Lissabon” fängt er die Sehnsucht eines mediterranen Lebenstraums ein und inspiriert, das Leben in vollen Zügen zu leben.

Einige Auszüge seiner Beobachtungen, Gedanken, doch vor allem sentimentale poetische Zustände, veröffentlicht er hier bei Schluck. Diese träumerischen Momentaufnahmen sind Inspirationen, vielleicht sogar Lebensweisheiten, die wir unbedingt nachleben sollten, um unser Leben mit mehr südländischer Leichtigkeit zu genießen.

Mehr Urlaub im Alltag 

Das Deutsche und das Portugiesische unterscheidet sich nicht nur in seinen Klischees, sondern vor allem im Alltag, und das Geheimnis liegt in den Tagen verborgen, die sind, wie alle anderen Tage. Die Deutschen sind gut an der Arbeit, die Portugiesen besser danach. Und umgedreht. In Portugal arbeitet man im Blaumann, schraubt oder steht in Scheiße rum und setzt sich nach Feierabend, im Anzug auf einen schönen Platz, ist ganz da, setzt sich, wenn's sein muss, im Schatten einmal um den gesamten Platz herum. Trinkt eine Flasche Wein.

Wir hatten uns und Wein, […] und ließen uns von der Endzeitstimmung nicht um eine Jahreszeit unseres Lebens bringen. Im Gegenteil.

Wartet auf jemanden, mit dem man die teilen kann. Ende der Aktion. Falls keine Tageszeitung mehr über den Platz weht, die man lesen kann. Solche Plätze sind dann wie Dörfer der Stadt. In Deutschland fährt man im Anzug zur Arbeit, Tür auf, Treppe runter, ganz früh und ganz aufgeregt, auf dem Fahrrad, mit Leuchtkleidung an, klingelt wie man mit einem Maschinengewehr auf Frauen und Kinder schießen würde und isst sein gesundes Mittagessen nervös aus einem Plastikcontainer, nur um es aufgegessen zu haben. Raucht nicht, trinkt nicht, sitzt nicht blöd in der Gegend rum. Nimmt sich nie die Zeit, vergeudet sie nicht.

[…] Nicht so wie alte südländische Männer. Männer, ohne Frauen. Eine ganze Atmosphäre steigt von ihnen auf. Sie reden oder sie reden nicht. Haben immer Freitag, immer halb elf. Rauchen, oder tun irgendwas dazwischen, um dann wieder Rauchen zu können und machen das öfter, weil man an ihren Orten auch nichts anderes tun kann, als es öfter zu machen. Sie sitzen so da, vor Tischen, auf Stühlen, haben ein halbvolles Glas vor sich stehen, egal zu welcher Zeit, denn nicht die Zeit bestimmt die Dauer eines Lebens, sondern was drin ist. Umso länger man es lebt, desto kürzer ist es. Keine Ahnung wie's Ihnen geht, aber ich brauche den Anblick dieser Männer, sie gehören nicht nur zur Landschaft, sie sind selbst Landschaft geworden. Ich brauche ihre Trinkgewohnheiten und langen Lebensabende gegen die Studien unserer Zeit. Ihre Sprichworte gegen die Wortwucht der Zahlen und Fakten. Manche ihrer Trugschlüsse gefallen mir besser, als jede mir bekannte Wahrheit.

Was wir daraus lernen sollten:

Mehr Urlaubsgefühl in unseren hektischen Alltag lassen und sich bewusst die Zeit nehmen, das Leben auf sich wirken zu lassen.



Mal wieder Martini trinken

Jenen Winter verbrachten wir da, wo die spanische Königin einst ihre Sommer verbrachte, [Anmerkung der Redaktion: San Sebastian]. Wir wohnten in einem Gründerzeithotel mit Blick aufs Meer und tranken Martinis in der Hotelbar.

In Deutschland raucht man nicht, trinkt nicht, sitzt nicht blöd in der Gegend rum. Nimmt sich nie die Zeit, vergeudet sie nicht.

Es war eine schöne Bar mit rotem Samt und Messing, die Kellner trugen Manschettenknöpfe und verteilten Häppchen. Die Bar war lang und hatte Polster, auf die man seine Ellenbogen beim Sprechen stützen konnte, oder einfach nichts sagte und stumm stützte und dasaß und durch den Raum hinaus aufs Meer blickte. 

Das Hotel lag in der Mitte einer Bucht und auf den Armen der Bucht standen einzelne Häuser, die auf uns und die Bucht zurückblickten. Wenn der Sand bei Ebbe hart war, spazierten wir am Strand zum Ende der Bucht und den einzelnen Häusern und wieder zurück. Wir gewöhnten uns sehr an die Spaziergänge und liebten unsere Routine. Morgens lagen wir lange da, taten alles, machten nichts und schauten aus dem Fenster hinaus aufs Meer. Wir frühstückten. 

Nachts gingen wir tanzen. Es waren einsame baskische Discos. Wenn wir tagsüber zu viel Martini getrunken hatten, badeten wir im Meer. Dann gingen wir auf unser Zimmer, wickelten uns in Bademäntel ein, rubbelten uns trocken und bestellten mehr Martini aufs Zimmer. Einmal sind wir mit dem Riesenrad gefahren. Unter uns lag die Stadt, der kleine Teil des Universums, den wir uns einen Winter lang teilten. 

[…] Wir gewöhnten uns sehr an den Ausblick aus unserem Zimmer. Und als der Tag unserer Abreise kam, waren wir traurig, so, als würden wir etwas in diesem Ausblick zurücklassen. Das Riesenrad und das Baden im Martini. […] Einige von ihnen [Anmerkung der Redaktion: gemeint sind einige Bedienstete des Hotels] waren sehr traurig, dass wir gingen. Vor allem der Kellner mit den grauen Koteletten von der Bar und unser Zimmermädchen, dem ich immer nackt die Tür öffnete, wenn es uns neuen Martini aufs Zimmer brachte. Am Anfang hatte sie sich herrlich erschrocken, irgendwann hielt sie nur noch die Hand rein und sagte “Santa Madre de Dios”. Die Basken liebten uns in diesem Winter und wir liebten uns und die Basken. 

Was wir daraus lernen sollten:

Beim Wochenendausflug aufs Land einfach öfters mal Martini trinken, spazieren gehen und den Rest des Tages zusammen im Hotelzimmer verbringen.


“Wir wickelten uns in Bademäntel ein, rubbelten uns trocken und bestellten mehr Martini aufs Zimmer.”

Immer ein wenig Wein im Blut haben 

Zum Essen kauften wir schwarze Oliven aus Dosen und italienischen Hartkäse, Rotwein aus dem Dourotal, manchmal auch welchen aus Evora oder dem Alentejo, frisches Weißbrot und einen Sack Kartoffeln, den wir in kleinen Scheiben, neben das Entrecôte legten, so schön und so sorgfältig aufgereiht, als würden wir die Kartoffeln später noch fotografieren wollen. 

Wir legten unser ganzes Sein in dieses Tun, weil wir nichts anderes tun konnten, und fühlten uns dabei wie eine Gruppe fetter, einflussreicher Italiener, die man zusammen in einen Gefängnisfilm gesperrt hatte. Essen war für uns immer ein Ereignis gewesen, aber in diesen Tagen war es unser einziges. Und der Wein, was wären wir, in diesen Tagen, an denen wir Brandy kauften, ohne den Wein gewesen. Das Schöne am Wein ist, dass er im Süden nichts Außergewöhnliches ist, kein Zeichen von Kultiviertheit oder Mode, auch nichts Teures, schon gar nichts besonders Alkoholisches, sondern etwas ganz Normales, von dem man im Süden immer ein wenig im Blut haben muss, für alle Übel, die alle haben.

Es war ganz natürlich und so natürlich und notwendig, wie zu essen und es wäre uns nie in den Sinn gekommen, eine wichtige Mahlzeit zu uns zu nehmen, ohne Wein zu trinken. 

Manchmal aßen wir nur, um Wein zu trinken und wir tranken einen Schluck zu jedem Bissen und der Wein machte die Bissen besser und wir genossen die geteilte Wirkung, die das Essen und der Wein in unseren Körper ausgelöst hatte. Für uns in Südeuropa, war Wein etwas Gutes und Gesundes und ein großartiger Spender von Wohlbefinden und Freude und wenn man schon ohne den Wein froh war, machte er glücklich und berauschte. Er brachte Wohlsein und Freude und entfachte zwischen uns die Freude am Gespräch, obwohl wir uns seit Wochen nichts mehr zu sagen hatten.

Was wir daraus lernen sollten:

Zu einem guten Essen öfters einen guten Schluck Wein trinken und jede Mahlzeit wie ein Festmahl zelebrieren.


Einfach leben à la Dolce Far Niente 

Damals, in dieser Zeit, die längst vergangen ist und wir viel in Hesses Romanen lasen, wohnten wir in einem Dorf [Anmerkung der Redaktion: Olivone Blenio] in einem Haus, das frei und viereckig in einem Tal stand und ganz vergessen in die Berge gefallen war. Durch das Tal floss ein Bach und das Tal war tief und fiel bergab und hatte den Höhepunkt seiner Fruchtbarkeit erreicht. 

Links waren Olivenhaine, rechts wuchs der Wein. Alles war hoch und tief und je weiter das Tal hinunterging, desto wärmer wurde es und aus dem Bach wurde ein Fluss, der in gewaltigen Seen endete, die den Meeren gleichen. Warme Luft stieg auf und man konnte die Luft sehen, wie sie zwischen Felswänden und Kirchtürmen stand und von einem mächtigen Licht durchbrochen wurde, das alles kräftig in den Farben der Dinge erstrahlen ließ, genau wie Hodler es gemalt hatte. Es waren Berglandschaften, Dschungelberge, eine Kirchglocke, die irgendwo schlug und von der Ferne hergetragen wurde. Klare Laute der Natur, kein Krach der Stadt, nur Klang der Dörfer.

Man hörte Kühe fressen, im Orchester oder höchstens einen Italiener, der sein Motorrad an einer Bushaltestelle testete und pfiff, wenn eine Monica Bellucci an seiner Bushaltestelle vorrüberging. Es musste schön sein, in diesem Tal schön zu sein. Die Dörfer waren weltgewandt und man konnte in ihnen viele Sprachen sprechen und eine Frau lieben und einer bestimmten Tätigkeit nachgehen. Was wäre die Welt ohne die Dorfbewohner und Bewahrer, ohne die Bushaltestellen und Kirchen, die am Hang vor dem Blau des Himmels stehen.

"Wein trinken, Käse essen, sich mit sich beschäftigten."

[…] Man konnte in diesem Tal nichts tun, außer man wusste, was man tun konnte. Wein trinken, Käse essen, sich mit sich beschäftigten. Abends saßen wir lange am Kamin und morgens lagen wir lange da, guckten von warmen Betten aus offenen Fenster und hingen uns an schwere Steine im Bach, um uns vom Quellwasser aufwecken zu lassen. Es war kein Eiswasser, man konnte darin überleben, und wenn die Sonne auf die Stelle schien, an der man gerade hing, konnte man es sogar genießen. 

[…] Wir lebten, liebten, schliefen in den Nächten nicht, um am Morgen müde in die Ewigkeit aufzubrechen. Unser Begehren brach durch die Zeit hindurch, um dahinter die Ewigkeit zu finden. Hatten wir an einem Ort genug vom Balkon geguckt, fuhren wir weiter, von einer Mahlzeit zur Nächsten, schwammen in kalten, klaren Bächen und hielten in vielen Städten, in denen wir nach dem Weg fragten. Immer ein bisschen Wein im Blut.

"Wir dachten an all die Menschen, die durch die Weine  Freunde geworden sind."

Wir unterteilten die Orte in die Regionen der Weine, die wir tranken. Valtellina, Genovese oder Monticello oder was weiß ich. Er reinigte uns von innen und wir sprachen alles aus und hatten alles gesagt und immer etwas zu reden. Gingen uns die Themen aus, holten wir alles Mögliche aus den Abgründen unserer Gefühle hervor oder sprachen über das Essen und genossen die tiefe Freude, die hinter einer gemeinsamen Mahlzeit steckt.

[…] Abends beim Essen sagte sie, wir müssen uns in Zukunft immer an diese Momente erinnern, und ich sagte, dass wir neue Momente haben werden, von denen wir dann das Gleiche behaupten. Im Abschied strahlt alles noch einmal auf, zeigt sich ganz deutlich an seinen Rändern. Die Sehnsucht an alles, was man verloren hat, übertrifft in diesen Momenten alles, was man sich je davon erhoffen konnte, oder auch nicht. Wir dachten an all die Menschen, die wir trafen, all die Weine, die wir tranken und all die Menschen, die durch die Weine gute Freunde geworden sind. 

Was wir daraus lernen sollten:

Öfters raus aufs Land fahren, entschleunigen und die einfachen Dinge und Freuden des (Land)Lebens genießen. 


Meditieren in der Pampa 

Kaum geschwitzt, schwimmen gewesen, beim Lesen eingenickt und ums Buch rum braun geworden. Fast alles erreicht. Nach einem harten Tag am Strand kehren wir heim. Auf langen Schotterpisten, die uns von der Dämmerung bis tief in die Nacht führen. Die Frauen spülen sich den Sand von den Waden, die Männer das Salz von den Eiern. Alle cremen sich danach ein. 

Irgendjemand öffnet den Wein, jemand anderes schneidet den Käse. Wer Oliven mag, spuckt ihre Kerne von der Veranda ins Dunkel und befruchtet die Pampa. Eine Landschaft, die immer noch brummt und leuchtet wie den ganzen grellen Tag lang aufgeladen. Nachts ist es so klar, dass man den Himmel nur durch Sterne erkennen kann, und der Mond scheint tadellos und voll wie ein noch nie gedroschener Golfball. 

Was wir daraus lernen sollten:

Beim Meditieren an das entspannte Gefühl nach einem langen Strandtag denken und sich in eine Landschaft in der Pampa im Mondschein hinein träumen. 

 

In Erinnerung schwelgen

Ich träumte von einem Park und der Park war geschlossen und ich musste um ihn herumlaufen, um zu ihrer neuen Wohnung zu gelangen. Ich hatte den Tag über gut gearbeitet und viele Notizen zu wenigen Sätzen gemacht und vieles fertig gedacht, von dem ich ihr unbedingt erzählen musste.

“Wir lebten, liebten, schliefen in den Nächten nicht, um am Morgen müde in die Ewigkeit aufzubrechen.”

Wein musste ich unterwegs auch noch besorgen, weil es unmöglich war, ohne Wein von diesen Sätzen zu sprechen, eigentlich hätte ich dazu Romane gebraucht, aber ich schrieb keine Romane, also blieb nur der Wein und es wäre viel schneller gegangen, wenn ich durch den Park gekonnt hätte und nicht noch Wein kaufen müsste. Ich brannte von den Stunden, die ich in den Gassen der Stadt verbracht hatte, stand noch in Flammen und erzählte meiner Freundin von meinem neuen Wissen, dass für sie kein neues Wissen mehr war, sondern Dinge, die wir schon oft miteinander, auf den Bänken, zwischen den Treppen, besprochen hätten.

[…] Es sind offene, schöne Plätze und kleine Bars, die sich vor der Welt verstecken. Wer sie findet, sitzt unter hohen Decken an dunklen Tischen, in der Mitte funkelt einzig und allein das Parkett. Liebespaare haben im Schatten des Ambientes noch was zu klären, oder werden selbst zu Ambiente. Frauen sitzen mit dunklen Augen, in aufgeschnitten Kleidern vor rotem Wein, den sie unmöglich alleine schaffen. Es ist mehr Zeichen als Wein, der sagen soll, dass sie nicht vorhaben, zu gehen, bleiben und aufgefordert werden wollen.

Wir setzten uns in diesem Jahr noch oft auf die Bänke, zwischen den Treppen, wenn wir irgendetwas zu klären hatten, und auch in anderen Jahren, aber nie war es so schön, wie an diesem verseuchten Wintertag am Pantheon, am letzten Tag, vor der Ausgangssperre.

Wir hatten uns und die Erinnerung an uns und Wein und Bücher, die man nochmal lesen konnte und ließen uns von der Endzeitstimmung nicht um eine Jahreszeit unseres Lebens bringen. Im Gegenteil. Der Jacarandá blühte und wir kannten einen Ort, von dem man das sehen konnte. Ein Teil von uns blieb für immer an diesem Ort zurück und wir fanden ihn nur wieder, wenn wir an diesen Ort zurückkehrten. Vielleicht würde eines Tages, nach dieser Zeit, sogar noch meine Ansichtskarte ankommen. 

Was wir daraus lernen sollten:

Von gemeinsamen Erinnerungen leben, und der Endzeitstimmung in pandemischen Zeiten ein Schnippchen schlagen.

Nächtliche Geheimnisse

Es gab zu dieser Zeit so viele gute Lokale, in allen Ecken der Stadt, in denen wir essen wollten, und auf der Suche nach einer Gelegenheit kam uns diese Ecke gerade gelegen. Zu Zeiten an Orten vorbeizukommen, an denen man zu dieser Zeit sonst nie vorbeikam, machte mich glücklich und ich versuchte meine Verabredungen stets an solche Orte zu verlegen. Wir hatten nicht viel Geld, aber wenn man wusste wo man essen konnte, aß man dort gut und billig und noch billiger, als würde man selber kochen. Aber das Essen war gut und billig und der Wein war gut und billig und die Kellner wussten, was die Köche taten und so weiter.

[…] und ich dachte über einige andere Cafés nach, die ich kannte und die ordentliche Mahlzeiten servierten, aber sie lagen in einem anderen Teil der Stadt, auf den großen Boulevards der Avenida. In den Morgenstunden bekam man dort die beste Wintersonne ab und man konnte gut auf den Boulevards schlendern und sich was kaufen und sich im Café Versailles von unfreundlichen Kellnern gute Mahlzeiten servieren lassen. Nur kam der Februarregen in diesem Jahr schon vor Weihnachten und er fiel dünn und geduldig und lang. Er fiel so dünn und geduldig und lang, dass die Luft sauber und brillant aussah. Aber er spülte auch den Herbst weg und ließ nur noch den Winter übrig und andere Cafés der Stadt blühten auf, in die man sonst das Jahr über nicht konnte. 

“Die Frauen spülen sich den Sand von den Waden, die Männer das Salz von den Eiern. Alle cremen sich danach ein.”

Sie waren als Café getarnte Geheimnisse und lagen hinter kleinen Türen verborgen, durch die man in eine andere Zeit trat. Man trat dann ins Foxtrott, aber das fand ich immer nicht oder ich fand es nur im Dunkeln, weil sie dann ein besonderes Licht davor anmachten und man die Straßen hinunter nach dem Licht schaute und ich das immer nur betrunken getan hatte. Es war ein neues Café, das sehr alt daher machte. Der Name stand im Pflaster und die Drinks waren teuer und die Leute wussten nicht, wie sie die Drinks zu halten hatten. Zuerst ging ich nie dahin, aber eines Abends war ich in der Gegend und ich mochte diese Gegend der Stadt, weil ich sie nicht kannte und ich wollte es auch dabei belassen. 

Aber ein Freund ließ mich mit einer Verabredung sitzen und ich hatte kein Telefon dabei und ging ins Foxtrott und hatte Ideen, die ich ohne oder mit ihm nie gehabt hätte. Es war ein Freitagabend und ich stand in Flammen und ich war meinem Freund sehr dankbar. Seit diesem Freitagabend ging ich gerne Freitagabend ins Foxtrott und wartete auf die Essenszeit. Sie haben schöne Freskos an den Wänden und man darf drinnen rauchen und schreiben. (...) Aber ich war jetzt froh hier zu sein und las den Brief und trank den Café und den Portwein abwechselnd. Nachdem ich mit dem Brief fertig geworden war, dachte ich darüber nach und nahm dann das Buch und dachte dann nicht mehr.

Was wir daraus lernen sollten:

Reisen in der eigenen Stadt, ihre Geheimnisse mit der Neugier eines Reisenden wiederentdecken, und öfter mal in ein unbekanntes Café gehen, am anderen Ende der Stadt.


Die Liebe in das Leben lassen

[…] Jahre später traf ich dann ein Mädchen. Wieder ein Mädchen, aber eins, von dem ich schreiben wollte, obwohl sie weder vergeben noch im Paco [Anmerkung der Redaktion: ein Café/eine Bar] gewesen ist. Aber sie konnte eine Mahlzeit zu einem Ereignis werden lassen und wenn wir Geld hatten, gingen wir Austern bei Ramiro essen und tranken kalten, weißen Wein.

“Als Café getarnte Geheimnisse lagen hinter kleinen Türen verborgen, durch die man in eine andere Zeit trat.”

Wir verbrachten wunderbare Mahlzeiten miteinander und führten tolle Gespräche und machten Spaziergänge und gingen zusammen verloren und ich erinnerte mich, was Miguel Saramoni damals zu mir sagte. Ich konnte es wieder spüren. Es war da, als ich mit ihr war, und es war da, als ich nicht mit ihr war und wenn ich mit anderen war, war es auch da. Als ich aufwachte, war es da und wenn mir der Mond nachts im Bett ins Gesicht schienen, wollte es gar nicht mehr gehen. 

Das Leben kam mir gefühlt so einfach vor, aber das Leben war nicht einfach, dachte ich. Nichts war einfach, wenn man jung war, nur haben wollen, aber nicht haben wollte. Also gingen wir im Dunkeln so vor uns hin, ein Schritt vor den anderen, schauten in Schaufenster und liefen durch die Rua Augusta, kamen auf den Rathausplatz und fragten uns einfache Sachen: wie der Tag so war oder ob einer von uns schon mal im Rathaus gewesen ist.

Aber nichts war einfach, nicht einmal einfache Sachen fragen oder im Dunkeln nebeneinander einschlafen, vom Lieben einer Frau, die man liebt, mal ganz abgesehen. 

Das Einzige, was wirklich einfach schien, war Wegrennen und wieder nicht zu lieben oder wieder nicht gut zu lieben, was wieder das Gleiche gewesen wäre. Aber wir hatten uns und wir hatten Wissen, das wir uns über die Zeit voneinander angeeignet hatten, Wissen, das unser Wissen war und es wäre sehr schade gewesen, um all das, was wir schon voneinander wussten. Und ich dachte an Miguel Saramoni und Tolstoi und was der alles wissen musste und wusste, dass es das war, was ich damals im Paco spürte.

Diesmal würde ich es zu Ende denken. 

Was wir daraus lernen sollten:

Keine Angst vor der Liebe haben, seinen Gefühlen freien Lauf lassen und so vielleicht die Liebe seines Lebens finden.


“Es war da, als ich mit ihr war, und es war da, als ich nicht mit ihr war und wenn ich mit anderen war, war es auch da. Als ich aufwachte, war es da und wenn mir der Mond nachts im Bett ins Gesicht schienen, wollte es gar nicht mehr gehen.”

Viele weitere poetische Momentaufnahmen, Lebensweisheiten und intensive Augenblicke zum Augenschließen und Davonträumen finden sich in Konstantin Arnold’s Buch Libertin - Briefe aus Lissabon”.

Die Erstausgabe erschien 2020 im Proof Verlag, der zweite Teil ist bereits in Arbeit.